Nach Schmierereien „Schweigen reicht nicht mehr“ - Redner rufen bei Kundgebung in Aken dazu auf, ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen
Bei einer Kundgebung in Aken setzen sich rund 150 Bürger für Demokratie und Toleranz ein. Sie widersprechen denen, die ausgrenzen wollen, Gewalt und Hass verbreiten.

Aken/MZ. - Nichts zu sagen. Aus Angst, es falsch zu formulieren. Nichts zu sagen. Des lieben Friedens willen. Nichts zu sagen. Weil Politiker diejenigen sein sollten, die etwas sagen. Für Christine Koschmieder ist das gerade nicht die richtige Einstellung. „In diesen Tagen braucht es Mut“, macht die Schriftstellerin aus Leipzig deutlich, die seit wenigen Jahren in Aken lebt.
Rund 150 Bürgerinnen und Bürger haben sich am Samstag auf dem Marktplatz der Elbestadt zur Kundgebung „Nie wieder ist jetzt – Für Demokratie und ein solidarisches Miteinander in Aken“ eingefunden. Die Vereine „Wir mit Dir“ und „Werftvolle Zukunft“ hatten dazu eingeladen, nachdem an mehreren Stellen der Stadt rechtsextreme Schmierereien aufgetaucht sind.

„Wer Gewalt predigt, wer Extremismus schürt, wer Hass verbreitet, wer unsere herzliche, menschenfreundliche Schifferstadt mit Nazi-Parolen, mit Hakenkreuzen oder Sigrunen beschmiert, der hat keinen Platz in unserer friedliebenden Gemeinschaft“, machte Jan-Hendrik Bahn, der Bürgermeister von Aken, in seiner Rede deutlich. „Wir stehen entschlossen gegen Gewalt und Extremismus jeglicher Art und setzen ein klares Zeichen für die Demokratie, den Frieden und die Freiheit. Wir lassen nicht zu, dass unsere Gesellschaft von Hass und Intoleranz vergiftet wird.“
Der Bürgermeister erklärte, dass „Parteien und Gruppierungen, die sich nicht entschieden und unmissverständlich von Gewalt und Extremismus distanzieren“ für ihn nicht wählbar seien. „Wir dürfen nicht zulassen, dass politische Kräfte, die Hass und Spaltung vorantreiben, Einfluss gewinnen und unsere Demokratie untergraben und den Frieden gefährden“, sagte er.

Zehn Rednerinnen und Redner riefen dazu auf, sich für Demokratie einzusetzen, ihre Stimme gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Intoleranz zu erheben, sich nicht einschüchtern zu lassen und sich auch über die Kundgebung hinaus für ein solidarisches Miteinander stark zu machen.
Lothar Seibt, der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Stadtrat, erinnerte an die Gräueltaten der Nationalsozialisten. „Wie konnte das damals auch in unserem beschaulichen, schönen Städtchen Aken geschehen?“ Diese Frage stellt sich der Lokalpolitiker gerade in diesen Tagen. Er erklärte: „Wir haben uns heute hier versammelt, weil bestimmte Kreise, bestimmte Politiker wieder von Deportation, Remigration, Ausgrenzung und Verachtung faseln.“ Er betonte, dass menschenverachtenden Ansichten und rassistischen Äußerungen widersprochen werden müsse – im Freundeskreis, in der Familie, auf Arbeit, am Stammtisch, in der Schule und im Verein.
Nach Gründen für Abkehr von demokratischen Werten gesucht
Das unterstrich auch Kathrin Hinze, die Koordinatorin des Regionalnetzwerkes „Engagierte Stadt“ in Dessau-Roßlau. Sie suchte nach den Gründen dafür, dass Menschen sich von demokratischen Werten abkehrten und machte dafür „Unzufriedenheit und Resignation mit der eigenen Lebenswelt“ aus. „Hier muss angesetzt werden“, erklärte die Akenerin und betonte, wie wichtig es sei, sich für eine tolerante, offene und demokratische Stadtgesellschaft einzusetzen.
Dass die Demokratie in Gefahr sei, stellte John Kaube, Jugendbeirat in Aken, in seiner Rede heraus. „Sie kann leicht von denen bedroht werden, die Angst und Hass verbreiten, die Zwietracht sähen und die unsere Unterschiede betonen, anstatt das zu feiern, was uns vereint“, warnte er.

„Ich finde es ungemein traurig, dass sich unter Jüdinnen und Juden in unserem Land wieder Angst breit macht“, sagte Georg Neugebauer, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde der Elbestadt. „Das darf nicht sein.“ Er nannte Kundgebungen wie die in Aken ein „ausgesprochen ermutigendes Zeichen dafür, dass die Menschen bereit sind, für unsere Demokratie und für die Grundwerte des Grundgesetzes aufzustehen“ und machte deutlich, dass Kindern und Jugendlichen erklärt werden müsse, was demokratisches Miteinander bedeute.
Nils Martinek aus Susigke wandte ein, dass es rechtsextreme Schmierereien in Aken auch früher schon gegeben habe. „Die Leute, die solche Ideologien vertreten und so was kundtun, sind oft die Lautesten, aber meistens eine Minderheit“, sagte er und führte zum Vergleich an: Kein normaler Mensch schmiere an eine Bushaltestelle, dass er die bürgerliche Mitte vertrete.

Michael Kiel, der Vorsitzende des Stadtrates, appellierte in seiner Rede, dass „zwischen nachvollziehbarem demokratischem Protest und zwischen platten, plumpen Versuchen, die Gesellschaft spalten zu wollen“ differenziert werden müsse. Die Menschen sollten mutig und freundlich sein, bekräftigte er. „Mutig zu sein, heißt, auch mal gegen Entscheidungen klar Position zu beziehen und diese durch friedliche Demonstrationen und offene Worte zu kritisieren und zu hinterfragen.“ Es sei nachvollziehbar, dass Menschen derzeit vieles hinterfragten. „Nur weil Trittbrettfahrer den Mut von Menschen nutzen, um ihren eigenen Hass weiterzuverbreiten, darf man der Einfachheit halber nicht die gesamte protestierende Masse in eine dunkle Kiste stecken“, gab er zu bedenken.
Aufgerufen, über Kundgebungen hinaus aktiv zu werden
Olaf Wendel aus Reppichau merkte nach einem ausführlichen Exkurs in die DDR-Geschichte an, dass politische Entscheidungen durchaus angezweifelt werden dürften. Auf positive Weise. „Ich träume nun davon, dass der Veränderungsmut, wie ich ihn in den Sommer- und Herbstwochen 89 erlebt habe, uns wieder ergreift“, sagte er und rief dazu auf, sich zu treffen, um über Veränderungen zu sprechen: „Werdet über die Kundgebungen und Demonstrationen hinaus aktiv.“
Das bekräftigte auch Justin Kurrich vom Kreisverband der Linken in Anhalt-Bitterfeld. „Schweigen allein reicht nicht mehr aus. Wir müssen unsere Stimmen erheben und uns zusammenschließen und ein starkes Zeichen setzen“, sagte er. „Durch demokratisch gewählte Parteien, die den Anschein machen, eine Alternative zu sein, wurde rechtes Gedankengut und Hass wieder alltagstauglich.“

Christine Koschmieder betonte, dass „nicht denen mit der größeren Klappe oder den gewichtigeren Worten oder den beeindruckenderen Statistiken“ die Bühne überlassen werden dürfe. Und schon gar nicht der Alltag. „Vor allem dann nicht, wenn sie menschenfeindlichen Schwachsinn verzapfen, wenn sie Grundrechte nur noch für Menschengruppen ihrer Wahl gelten lassen wollen.“ Die Schriftstellerin weiß, dass die Versuchung groß sei, aus Angst lieber gar nichts zu sagen, sich wegzuducken, zu schweigen. Doch: „In diesen Tagen braucht es Mut.“