Razzien bei Rechtsextremisten Razzien bei Rechtsextremisten: LKA durchsucht Wohnungen in Köthen und Gardelegen

Köthen/Gardelegen - Im Morgengrauen rücken Spezialkräfte an: Vermummte Polizisten durchsuchen Wohnungen und Immobilien in Köthen (Anhalt-Bitterfeld) und Gardelegen (Altmarkkreis Salzwedel). Zeitgleich schwärmen am Dienstag Einheiten in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen aus.
Im Visier hat die Bundesanwaltschaft eine seit 2018 aktive Gruppe von Rechtsextremisten, die offenbar einen Schwerpunkt in Sachsen-Anhalt hat. Der Verdacht der Ermittler: Die Rechtsradikalen haben eine kriminelle Vereinigung gegründet. Sie nennen sich „Wolfsbrigade“ - und sie sollen mit der „Sturmbrigade“ einen bewaffneten Arm besitzen.
Beschuldigte wollen „Germanisches Sittengesetz“ durchsetzen
Auf dem Schirm hat die Polizei sechs Beschuldigte und vier Personen, die nicht als Verdächtige geführt werden. Festnahmen gibt es nicht. In Sachsen-Anhalt lassen die Ermittler fünf Immobilen durchsuchen - dabei geht es ihnen auch um Schusswaffen. Denn laut Bundesanwaltschaft ist das erklärte Ziel der Gruppierung das „Wiedererstarken eines freien Vaterlandes“ nach dem „germanischen Sittengesetz“.
Nach rechtsextremer Deutung kann ein solches Gesetz etwa strenge Regeln für Partnerwahl und Kindererziehung vorschreiben. Die Ermittler schreiben: „Es besteht der Verdacht, dass diese Ziele auch mittels Gewalttätigkeiten durchgesetzt werden sollen.“
Die Razzien sollen den Ermittlern Klarheit bringen. Insbesondere geht es um Erkenntnisse zur „Sturmbrigade“. Besitzen deren Mitglieder Schusswaffen? Bereiten sie Straftaten vor? Laut Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt (LKA) suchen die Ermittler am Dienstag nach Beweismitteln. Zunächst wurde bekannt, dass Computer, Datenträger und Handys in den Wohnungen sichergestellt wurden. Ob auch Schusswaffen gefunden wurden, ließen LKA und Generalbundesanwalt offen. Ebenso wie die Frage, ob die rechte Gruppe bereits Taten gegen politische Gegner plante.
Gruppe trat 2018 in Köthen erstmals in Erscheinung
Federführend liegen die länderübergreifenden Ermittlungen beim LKA in Magdeburg. Es ist ein Hinweis darauf, dass Akteure aus Sachsen-Anhalt eine wichtige Rolle im Fall Wolfs- und Sturmbrigade spielen können.
Öffentlich trat die Gruppe erstmals 2018 in Erscheinung: bei rechtsextremen Demonstrationen in Köthen. Es waren bundesweit wahrgenommene Aufmärsche der Szene.
Damals erschienen Demonstranten mit T-Shirt-Aufdrucken wie „Wolfsbrigade 44“, illustriert mit Eisernem Kreuz, Dolchen und einem Totenkopf, der eine Mütze im SA-Stil trägt. Andere „Wolfsbrigade“-Kleidung zeigte Maschinenpistolen und Stahlhelme. Im Internet posieren vereinzelte Mitglieder oder Sympathisanten der Gruppe aus Köthen mit „Wolfsbrigade“-Emblemen und einschlägig rechtsradikaler Symbolik.
David Begrich, Rechtsextremismusexperte des Vereins Miteinander, schätzt die Gruppe als klar neonazistisch ein. „Die Ermittlungen zeigen, dass gewaltbereite neonazistische Gruppen wie die Wolfsbrigade überregional vernetzt agieren und zum Kern des Mobilisierungspotenzials der rechten Szene gehören.“ In den vergangenen Jahren habe es einen Radikalisierungsprozess gegeben.
Szenekenner sehen Gefahr für die Öffentlichkeit
„Eine wesentliche Rolle spielten dabei Vernetzung und Kommunikation in den sozialen Netzwerken“, so Begrich. „Eine mögliche Gefährdung geht sowohl von Einzelpersonen aus dem Umfeld solcher Netzwerke als auch von den Gruppen selbst aus“, sagte der Szenekenner.
„Vom Erscheinungsbild agiert die Gruppe wie eine rechtsextreme Bruderschaft“, so Begrich. Diese Form des Zusammenschlusses lehne sich an Strukturen im Rockerbereich an - etwa im Habitus oder mit der Verwendung bestimmter Rituale oder eines Kodex’. „Vergleichbare Gruppen geben sich auch Manifeste“, so Begrich. Ein Hinweis auf diesen Bruderschaftcharakter sei die Formulierung des „germanischen Sittengesetzes“.
Verfassungsschutz sieht „Bezug zur Waffen-SS“
Verfassungsschutzämter haben die länderübergreifend vernetzte Gruppierung indes seit Monaten auf dem Schirm. Im jüngsten Behördenbericht für Mecklenburg-Vorpommern ist die Sturmbrigade 44 benannt. Der Verfassungsschutz notiert: „Die Bezeichnung ‚Sturmbrigade‘ soll offensichtlich einen Bezug zu Einheitsbezeichnungen der Waffen-SS herstellen.“ Die Amtskollegen in Sachsen-Anhalt listeten Wolfs- und Sturmbrigade 44 zuletzt im März als neue extremistische Gruppierung in Sachsen-Anhalt auf.
Laut LKA in Magdeburg wurden neben den fünf Objekten in Sachsen-Anhalt am Dienstag auch drei Immobilen in Hessen und jeweils eine in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen durchsucht. In Mecklenburg-Vorpommern gab es laut Generalbundesanwalt keine Razzien. (mz)