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RAF-Auflösung 1998 RAF-Auflösung 1998: Ex-Terroristin lebte im Plattenbau in Köthen

Von Thilo Streubel und Wolfram Schlaikier 18.04.2013, 10:09
Das Bild zeigt den Wohnblock im Starenweg im Wohngebiet Rüsternbreite in Köthen. In der früheren Wilhelm-Pieck-Straße 4 soll Familie Jäger gelebt haben.
Das Bild zeigt den Wohnblock im Starenweg im Wohngebiet Rüsternbreite in Köthen. In der früheren Wilhelm-Pieck-Straße 4 soll Familie Jäger gelebt haben. Heiko Rebsch Lizenz

Köthen/MZ - „Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“ So stand es in einem achtseitigen Schreiben, das heute vor 15 Jahren, am 20. April 1998, bei der Nachrichtenagentur Reuters in Köln eintraf. Im Klartext bedeutete es die endgültige Auflösung der „Roten Armee Fraktion“ (RAF), die 28 Jahre zuvor in der Bundesrepublik Deutschland gegründet worden war. Die terroristische Vereinigung galt schon lange als inaktiv, ihr letzter Anschlag lag bereits fünf Jahre zurück. Somit hatte das Schreiben nur noch förmlichen Charakter.

Obwohl die RAF vornehmlich in der Bundesrepublik agierte, gab es auch Verbindungen der Terroristen in die DDR. Denn die DDR-Regierung hieß das Handeln der Terroristen nicht nur stillschweigend gut, SED-Generalsekretär Erich Honecker sympathisierte sogar mit dem Untergrund-Kampf der RAF gegen den „Imperialismus“ Deshalb hatte er persönlich angeordnet, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) den Terroristen bei Schwierigkeiten helfen sollte. Im Jahr 1980 trat so ein Fall ein: Unter dem Fahndungsdruck in der Bundesrepublik organisierte die DDR-Staatssicherheit die konspirative Übersiedlung von acht RAF-Aussteigern in die DDR, zwei Jahre später folgten weitere zwei.

Eine der Aussteigerinnen von 1980 war Susanne Albrecht, die 1977 an der Ermordung des Dresdner-Bank-Vorstands Jürgen Ponto beteiligt war. Albrecht war über Prag in die DDR eingereist und wurde im Oktober unter dem Decknamen „Ingrid Jäger“ DDR-Bürgerin. Zunächst lebte sie in der DDR-Bezirkshauptstadt Cottbus, wo sie als technische Assistentin in der Abteilung Fremdsprachen der Hochschule arbeitete.  Nachdem sie den Doktoranden Claus Becker geheiratet und ein Kind bekommen hatte, zog Familie Becker 1985 nach Köthen im Bezirk Halle um. An der Technischen Hochschule (TH) in Köthen unterrichtete Albrecht alias Becker Deutsch für Ausländer.

Dass es sich bei Ingrid Becker in Wahrheit um die in der Bundesrepublik gesuchte Ex-RAF-Terroristin Susanne Albrecht handelte, ahnte im Köthener Neubaugebiet Rüsternbreite niemand. Ein früherer Nachbar der Familie erinnerte sich auf MZ-Anfrage an die Adresse: In der Wilhelm-Pieck-Straße 4 (heute Starenweg 4) soll Familie Jäger damals gelebt haben.

Mit deren Ruhe war es 1986 schlagartig vorbei, als die ARD einen Bericht über die RAF und ihre untergetauchten Mitglieder gesendet hatte: Nachbarn in der Rüsternbreite und Kollegen an der TH in Köthen erkannten „Ingrid Jäger“ im Fernsehen als Susanne Albrecht. Am Briefkasten der Familie soll ein Zettel geklebt haben: „Wie kann man mit dieser Vergangenheit leben?“ Die Ex-RAF-Terroristin war enttarnt.

Die DDR-Staatssicherheit reagierte sofort und ließ die Familie erst nach Berlin-Marzahn umziehen, später lebte sie zeitweise in der Sowjetunion, wo Susanne Albrechts Mann in einem Kernforschungsinstitut arbeitete. Verhaftet wurde Susanne Albrecht noch von der DDR-Volkspolizei, am 7. Juni 1990 in Berlin-Marzahn. Im Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart legte sie mit Hilfe der so genannten Kronzeugenregelung ein ausführliches Geständnis ab und wurde am 3. Juni 1991 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. 1996 wurde sie auf Bewährung entlassen.

Neben Susanne Albrecht war 1987 auch Inge Viett in der DDR enttarnt worden: Sie hatte bis dahin als „Eva Maria Sommer“ in Dresden gearbeitet und gelebt und zog danach mit einem neuen Tarnnamen in die Hans-Grundig-Straße in Magdeburg-Nord (heute Magdeburg-Kannenstieg) um, wo sie sich „Eva Maria Schnell“ nannte. Nach ihrer Verhaftung am 12. Juni 1990 in Magdeburg wurde Viett 1992 vom Oberlandesgericht Koblenz wegen versuchten Mordes zu dreizehn Jahren Haft verurteilt. Im Januar 1997 wurde Viett entlassen, die restliche Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Das Bild zeigt den Ausschnitt eines Fahndungsplakats der Polizei der Bundesrepublik Deutschland. Oben links sieht man das Foto der RAF-Terroristin Susanne Albrecht, die zeitweise unter falschem Namen in Köthen untergetaucht war.
Das Bild zeigt den Ausschnitt eines Fahndungsplakats der Polizei der Bundesrepublik Deutschland. Oben links sieht man das Foto der RAF-Terroristin Susanne Albrecht, die zeitweise unter falschem Namen in Köthen untergetaucht war.
Archiv/ddp Lizenz