1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Köthen
  6. >
  7. Spezialist für schwierige Fälle: „Geht nicht, gibt’s nicht“: Baggerfahrer Ingo Flaschina hat das Möbelkaufhaus in Köthen abgerissen

Spezialist für schwierige Fälle „Geht nicht, gibt’s nicht“: Baggerfahrer Ingo Flaschina hat das Möbelkaufhaus in Köthen abgerissen

Behutsam hat der erfahrene Baggerfahrer Ingo Flaschina dafür gesorgt, dass beim Abriss des früheren Möbelkaufhauses an den Nachbarhäusern kein Schaden entsteht. Was die Arbeit in der Köthener Fußgängerzone knifflig gemacht hat.

Von Sylke Hermann 14.04.2025, 16:30
Bedient den Großbagger wie einen ganz normalen Pkw: der 59-jährige Ingo Flaschina aus Halle.
Bedient den Großbagger wie einen ganz normalen Pkw: der 59-jährige Ingo Flaschina aus Halle. Foto: Sylke Hermann

Köthen/MZ. - Sie lieben ihn. Alle lieben ihn. Sie bewundern seine Fähigkeiten. Sein Augenmaß. Seine Freundlichkeit. Kommunikativ ist er auch noch. So einen Nachbarn will man haben.

Doch Ingo Flaschina wird nicht bleiben, auch wenn er seit dem 22. März jeden Tag in Köthen ist und irgendwie zum Stadtbild gehört. Sobald die Reste des einstigen Möbelkaufhauses in der Fußgängerzone der Bachstadt beräumt sind, verlässt er die Baustelle wieder, die für den Baumaschinisten eine wie jede andere ist. Obgleich er mitbekommt, dass die Köthener mit diesem Ort durchaus etwas Emotionales verbinden.

Lesen Sie auch:Ganz nah dran: Optikerin führt Baustellentagebuch zum Abriss des Möbelkaufhauses in Köthen

Früh am Morgen klettert der Hallenser auf seinen SY 500, um sich mit dem Großbagger, der – weil man ihn hier nicht mehr brauchte – am Donnerstagabend wieder abgeholt wurde, Stück für Stück vorzuarbeiten. Es ist ein mühsames Tagwerk. Nie wissend, was einen erwartet. Oft nicht wissend, was passiert, wenn sich die riesige Maschine kraftvoll und gleichzeitig behutsam durch das Mauerwerk fräst.

Das Schlimmste sei geschafft, meint der 59-Jährige. Von der Immobilie, mit der viele Menschen hier Erinnerungen verknüpfen, ist nichts mehr zu sehen. Nur noch ein Haufen Steine. Und um die zu beräumen, reicht ein SY 265. Ein deutlich kleinerer Bagger. Ein Spielzeug, meint ein Kollege von Ingo Flaschina, der das auf seine Art bestätigt und lächelnd meint: „Alle Bagger sind Spielzeuge.“

Ingo Flaschina arbeitet seit fast 20 Jahren für die Firma Messerschmidt, einem Spezialisten für baufällige Häuser

Seit fast 20 Jahren arbeitet er für die Firma Messerschmidt, deren Auftrag es ist, das baufällig gewordene Kaufhaus abzureißen. Ein Auftrag der Stadt, um die von der Ruine ausgehende Gefahr zu beseitigen. Über Monate war der Bereich davor großräumig abgesperrt. Zum Leidwesen vieler Passanten, die diese rigorose Entscheidung nicht nachvollziehen konnten und von übertriebener Vorsicht sprechen.

Ingo Flaschina hält sich da zurück. Er erledigt hier nur seinen Job. Dass er den liebt, kann und will er auch gar nicht verschweigen. „Ich mache das seit über 35 Jahren.“ Dabei gilt – egal wo er tätig ist und womit er es zu tun bekomme – die Maxime: „Geht nicht, gibt’s nicht.“

Der SY 500: Am Möbelkaufhaus war er jetzt überflüssig.
Der SY 500: Am Möbelkaufhaus war er jetzt überflüssig.
Foto: Sylke Hermann

Die ganz großen Maschinen, die Ingo Flaschina wie einen normalen Pkw bedient, werden nur auf bestimmten Baustellen eingesetzt. Am Möbelkaufhaus wäre er ohne den knapp zwei Jahren alten SY 500 nicht weit gekommen, „schon wegen der Höhe“. Wie Krakenarme bewegt er den stattlichen Ausleger des Baggers in luftige Höhen, reißt Meter für Meter die Fassade ein. Anfangs, erzählt er, habe man überhaupt nichts gesehen. Erst als das vor zehn Jahren zum Sachsen-Anhalt-Tag in Köthen geschaffene Graffiti im Eingangsbereich entfernt ist, riskieren die Arbeiter einen Blick ins Innere. Vorher sei das Gebäude für sie wie eine riesige Black-Box gewesen. Ein einziges Rätsel. „Wir wussten zum Beispiel nicht, ob die Nachbargebäude einen eigenen Giebel haben.“ Oder ob sie sich mit dem Möbelkaufhaus gewissermaßen eine Wand teilen. Mit dieser Ungewissheit muss der erfahrene Baumaschinist leben: „Es kann alles passieren.“

Ingo Flaschina räumt ein, dass es schon „etwas Anderes“ sei, ein Haus aus einem bebauten Umfeld herausschälen zu müssen. Anspruchsvoller. Kniffliger. „Man geht da deutlich vorsichtiger zu Werke“. Dass der riesige Bagger mit dem Hallenser im Führerhaus dabei so filigran arbeitet, hätten viele Zaungäste wohl nicht gedacht.

Mit seiner Hydraulikzange kann der gewaltige und zuweilen schwerfällig über den Platz rollende SY 500 sogar Stahlträger schneiden und geht butterweich durch Mauerwerk. Wer den Abriss des Kaufhauses verfolgt, bekommt das wie aus dem Lehrbuch präsentiert.

Ungewisse Giebel-Situation zu einem Nachbarn des Möbelkaufhauses in Köthen hat ein paar Sorgen bereitet

Dass Ingo Flaschina und seine Kollegen anfangs auch am Samstag in Köthen sind, um voranzukommen, habe nicht zuletzt mit den Schornsteinen im hinteren Teil der Baustelle zu tun. „Wir wollten die so schnell wie möglich abreißen, damit die Gefahr gebannt ist“, erklärt er. Doch als „besonders kritisch“ beschreibt er die ungewisse Giebelsituation zu Naumann-Optik. „Wäre die Wand umgekippt, hätten Naumanns ein neues Dach gebraucht.“ Die Wand kippt nicht.

Tonnenweise wird nun der übrig gebliebene Schutt des Möbelkaufhauses jeden Tag abgefahren. Wie lange das dauert, ist ungewiss. Und doch steht fest, dass Ingo Flaschina und seine Kollegen noch eine Weile auf der Baustelle sein werden. Der Keller muss leer geräumt und abgedichtet, der Boden anschließend perforiert werden, damit das Wasser abfließen kann. Zu tun gibt es also noch einiges.