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Flüchtlinge in Köthen Flüchtlinge in Köthen: Ängste sind unbegründet

01.10.2015, 17:35
Ein kleiner Junge fährt in einer Flüchtlingsunterkunft mit einem Spielauto.
Ein kleiner Junge fährt in einer Flüchtlingsunterkunft mit einem Spielauto. dpa

Köthen - Dass Flüchtlinge auch in Köthen eine Zuflucht finden, behagt längst nicht allen Bürgern. MZ-Redakteurin Stefanie Greiner hat mit Michaela Lange, Leiterin des Polizeireviers Anhalt-Bitterfeld, und Hans-Peter Klimmek, Leiter der Abteilung Zentrale Aufgaben, über Ängste und Vorurteile der Bevölkerung gesprochen.

Einige Bürger neigen dazu, Flüchtlinge pauschal zu kriminalisieren. Das hat nicht nur die Informationsveranstaltung vor gut zwei Wochen in Köthen gezeigt, das zeigen auch Kommentare in sozialen Netzwerken. Aber was sagen überhaupt die Zahlen?

Michaela Lange: Die polizeiliche Kriminalstatistik weist für den Landkreis Anhalt-Bitterfeld im ersten Halbjahr 2015 auf, dass circa 6 000 Straftaten angezeigt wurden. Circa 200 davon wurden im ersten Halbjahr von nicht-deutschen Tatverdächtigen begangen, wobei die Mehrheit dieser Tatverdächtigen keine Flüchtlinge sind, sondern reisende Täter. Wir haben einen minimalen Anteil an Straftaten durch Flüchtlinge. Das sind in der Mehrheit aber Straftaten nach Asylverfahrensgesetz. Es handelt sich also, gerade bei Syrern, um eine unerlaubte Einreise. Man kann definitiv also nicht sagen: „Flüchtlinge sind kriminell.“

Woher kommen aber die Gerüchte, dass Flüchtlinge beispielsweise Supermärkte ausrauben?

Michaela Lange: Ich vermute Panikmache dahinter. Also, dass bestimmte Gruppierungen einfach nur Stimmung machen wollen gegen Flüchtlinge.

Hans-Peter Klimmek: Ich denke, dass Berichte über solche Ereignisse aus anderen Städten in Foren veröffentlicht werden und dass Flüchtlinge dann pauschal in einen Topf geworfen werden und gesagt wird: „Das ist überall so.“

Vor einigen Wochen haben Flüchtlinge in einer Erstaufnahmestelle in Suhl randaliert. Ist mit solchen Gewaltausbrüchen auch bei uns zu rechnen?

Michaela Lange: Das sind Befürchtungen der Bevölkerung, die man ein Stück weit nachvollziehen kann, weil man so etwas nicht ausschließen kann. Derzeit sind in unserer Notunterkunft ausschließlich Syrer untergebracht. So lange es dabei bleibt, werden wir polizeilicherseits wahrscheinlich weniger Probleme haben. Denn es hat sich gezeigt, dass Auseinandersetzungen unter verschiedenen Ethnien oder Glaubenseinstellungen vorkommen. Momentan gibt es keine Anzeichen für derartige Auseinandersetzungen.

Der Polizei wird mitunter vorgeworfen, Straftaten von Flüchtlingen zu vertuschen. Was sagen Sie dazu?

Michaela Lange: Wir vertuschen generell keine Straftaten. Wir haben Ermittlungszwang. Alle Straftaten werden also verfolgt.

Fährt die Polizei in der Rüsternbreite - dort also, wo sich die Notunterkunft für Flüchtlinge befindet - eigentlich vermehrt Streife?

Michaela Lange: Wir sind lageangepasst im Stadtgebiet unterwegs. Unsere Regionalbereichsbeamten bestreifen das Gebiet obendrein nicht nur mit dem Funkstreifenwagen, sondern auch zu Fuß. Sie finden sich - soweit ihr Dienst es zulässt - auch in der Notunterkunft ein und schauen nach dem Rechten. Sie sind bemüht, fast täglich die Notunterkunft aufzusuchen. Sie informieren sich auch, ob es irgendwelche Spannungen gibt. Ich war neulich auch erst in der Notunterkunft und habe mit Raymond Schulz gesprochen.

Nun soll es gerade in der Rüsternbreite auch Eltern geben, die ihre Kinder abends nicht mehr allein nach draußen lassen - aus Angst, dass Flüchtlinge ihnen etwas antun.

Michaela Lange: Was sollen die Flüchtlinge denn machen? Warum sollten sie einem Kind etwas antun? Es sind ganz normale Menschen. Mit eigenen Erfahrungen. Mit Erlebnissen während des Krieges. Mit welchem Interesse sollten sie einem Kind etwas antun? Diese Ängste sind aus meiner Sicht unbegründet.

Ist die Polizei eigentlich im Internet unterwegs, um gezielt nach Beiträgen zu suchen, die sich gegen Flüchtlinge richten?

Michaela Lange: Wir haben bei der Kriminalpolizei Kollegen, die sich bei Bürgerhinweisen auf die betreffende Internetseite begeben und alle notwendigen Daten sichern, gegebenenfalls Strafanzeigen fertigen. Auf bestimmten Internetseiten wird regelmäßig recherchiert.

Frau Lange, Herr Klimmek, was liegt Ihnen mit Blick auf die Flüchtlingsproblematik denn ganz besonders am Herzen?

Michaela Lange: Es ist eine Herausforderung für das ganze Land. Letzten Endes müssen alle daran arbeiten, dass wir das Problem irgendwie lösen. Und da hilft es uns eher, dass wir versuchen, auf die Flüchtlinge zuzugehen, dass wir das Gespräch suchen, dass wir versuchen, sie in irgendeiner Weise zu integrieren, als dass wir sie in die Ecke stellen und kriminalisieren und am Ende eine gespaltene Gesellschaft haben.

Hans-Peter Klimmek: Wir haben einen großen Vorteil. Nämlich den ländlichen Raum, in dem wir leben. Das ist anders als in einer Großstadt, wo 1.000 oder 2.000 Flüchtlinge in einer Massenunterkunft leben. Wenn wir die Schule voll haben, dann sind es maximal 200. Bis jetzt haben wir um die 60. Das sind alles Größenordnungen, die man noch ohne Probleme händeln kann. Wir müssen die Chance nur nutzen und dürfen die Flüchtlinge nicht sich selbst überlassen. Raymond Schulz kommt auch langsam ans Ende seiner Möglichkeiten. Er braucht Hilfe von außen.

Michaela Lange: Raymond Schulz unterstützen! Die Initiative „Willkommen in Köthen“ unterstützen! Und das nicht nur mit Spenden, sondern auch, indem ich mich als Helfer zur Verfügung stelle. Klar, für Berufstätige ist das natürlich schwierig. Aber es gibt in Köthen auch viele, die keine Arbeit haben. Die Zeit haben, sich zu engagieren. (mz)