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Dorfmuseum Görzig Dorfmuseum Görzig: Rohrstock und DDR-Schnaps

Von Sandra Böhm 19.03.2016, 17:59
Für die vierte Klasse der Grundschule Görzig ist Axel Finsch im Museum in die Rolle eines Dorfschullehrers vor 150 Jahren geschlüpft. Er erklärt den Kindern, wie der Unterricht damals ablief.
Für die vierte Klasse der Grundschule Görzig ist Axel Finsch im Museum in die Rolle eines Dorfschullehrers vor 150 Jahren geschlüpft. Er erklärt den Kindern, wie der Unterricht damals ablief. Heiko Rebsch

Görzig - Ein Großteil des Raumes ist wie ein altes Klassenzimmer eingerichtet. Mit Schulbänken, deren Vorderwand gleichzeitig als Lehne für die Bankreihe davor diente. Zu sehen sind außerdem alte Schulhefte und Urkunden.

Auf dem Lehrerpult liegt etwas, das viele heutige Schulkinder nur noch aus Erzählungen kennen: ein Rohrstock. „Ja“, lacht Axel Finsch, „der ist original und wurde damals auch eingesetzt.“

Wenn Schulklassen aus der Grundschule Görzig, aber auch aus Gröbzig vorbeikommen, dann verkleidet sich Finsch als Lehrer einer Schule vor etwa 150 Jahren. Mit langem Gewand, Hut und Kneifer.

Axel Finsch, ehemaliger Mathematiklehrer und heute Ortschronist, leitet seit 2012 das kleine Dorfmuseum in der alten Schule in Görzig. Es hat viel mehr zu bieten, als es auf den ersten Blick scheint.

Museum in Eigenregie

Früher, erzählt Finsch, sei dieser Raum für den Musikunterricht genutzt worden. Als in den 70er Jahren die Lehrer angehalten wurden, vermehrt Arbeitsgemeinschaften (AG) durchzuführen, habe der damalige Deutschlehrer Paul Stammwitz seine schon bestehende AG ab 1977 hier versammelt.

Offiziell hat er hier dann am 14. September 1994 das Museum gegründet. Dies kam dem Ort ganz gelegen, denn Görzig habe schon immer ein Museum haben wollen. Doch ein geeignetes Haus dafür war nicht zu finden.

Nach dem Tod von Paul Stammwitz kam der Gedanke auf, das gesamte ehemalige Schulgebäude in ein Museum zu verwandeln. Doch in die einstige Lehrerwohnung zog eine Familie ein. Nun werden im alten Klassenzimmer die verschiedensten Exponate ausgestellt.

Es gibt eine DDR-Ecke mit alten Schlappen und DDR–Schnaps. „Hier kommen vor allem Leute meines Alters her und freuen sich über die Erinnerungsstücke“, so Finsch. Aber auch deren Kinder erinnern sich in dieser hintersten Ecke des Museums an die Erzählungen ihrer Eltern. Daneben steht ein Schaukasten mit alten Geldscheinen, zum Beispiel aus der Weimarer Republik und der frühen DDR.

Vom Dreschflegel bis zum Zeilenzieher

Da die Landwirtschaft im alten Görzig eine große Rolle gespielt hat, finden sich hier auch zig Gerätschaften. Vom Dreschflegel über Zeilenzieher, Geräte zum Heu-Ernten oder Melkschemel ist hier alles zu bestaunen.

Heutzutage wüssten die Leute mit vielen Dingen ja gar nichts mehr anzufangen, meint Finsch. Aber er erklärt seinen Besuchern die Exponate gern und könnte über manches stundenlang referieren - zum Beispiel darüber, wie Pflaumenmus hergestellt wurde.

Von der Feuerwehr hängen im Museum Uniformen und auch vom Bergbau. Es fehlt aber eine Uniform der Deutschen Reichsbahn, dabei hat die Bahn eine große Rolle in dieser Gegend gespielt. Im Durchschnitt, so Finsch, kämen pro Jahr mehr als 200 Besucher. „Außer 2015. Da waren es nur 27“, sagt Axel Finsch. Erklären könne er sich das nicht.

Es sei schwer, an Exponate heranzukommen, weil die Älteren an ihren Dingen hingen und nach ihrem Ableben die Jüngeren nicht wüssten, wohin damit. Und dann komme es weg, bedauert Finsch.

Alle Exponate des Dorfmuseums wurden dem Museum von Görzigern und Bewohnern der umliegenden Ortschaften überlassen. Es gibt viele Berater, auf die Axel Finsch sich verlassen kann, denn er ist kein Ur-Görziger und braucht in manchen Fragen den Rat der Alteingesessenen.

Da das Gebiet um Görzig schon seit der Bronzezeit bewohnt ist, finden sich im Museum auch Ausstellungsstücke aus dieser Zeit. Vieles, was in und um Görzig ausgegraben wurde, ist aber schon zu DDR-Zeiten nach Köthen abgegeben worden.

Am Eingang des Museums steht ein Regal mit alten Schulbüchern, das aber zum Bedauern von Axel Finsch bei Weitem nicht vollständig ist. „Ich habe zum Beispiel kein einziges Lehrbuch aus der braunen Zeit oder Bücher aus den 50er Jahren. Besonders eine Fibel aus dieser Zeit hätte ich gerne für das Museum“, sagt er.

Wer also noch alte Gerätschaften, Bücher oder Gegenstände von früher zu Hause hat und nicht weiß, wohin damit, kann sie gerne bei Axel Finsch, im Einkaufsmarkt Hermann oder im Mehrgenerationenhaus, Radegaster Straße 11a, abgeben.

In dessen Keller befindet sich übrigens ein weiterer Teil des Dorfmuseums. Zu besichtigen sind dort eine Schusterwerkstatt und eine historische Küche. Und ein ganzer Raum beherbergt Dinge aus der ehemaligen Polytechnischen Oberschule Görzig

Das Dorfmuseum hat nach Vereinbarung geöffnet. Interessenten wenden sich an das Mehrgenerationenhaus, Telefon 034975/3 02 91, oder per E-Mail an [email protected]

Axel Finsch zeigt den ungläubig dreinblickenden Schülern, wie Lehrer früher den Rohrstock eingesetzt haben.
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Heiko Rebsch
Erdkunde, Naturkunde, Deutsch - die Kinder haben originale Lehrbücher ihrer Urgroßeltern vor sich.
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Heiko Rebsch