Digitalisierung Digitalisierung: Vorfahren starben früher an Eiterbeulen und Schlagfluss
WÖRBZIG/MZ. - Auch die Krankheiten, die damals zum Tode führten, klingen für den Leser alter Kirchenbücher heute sehr fremd: Schlagfluss, Eiterbeulen, Zahnjammer, Karbunkel oder Steinschmerzen sind da verzeichnet. Matthias Pfeiffer (42) aus Wörbzig und Heike Hätsch (42) aus Gröbzig finden das sehr spannend, obwohl es nicht immer leicht ist, die altdeutschen Handschriften der Pfarrer zu entziffern und abzuschreiben.
24 Pfarrer allein in Wörbzig
Allein in Wörbzig gab es von 1564 bis heute 24 Pfarrer, die während ihrer Amtszeit unter anderem Einträge über Taufen, Eheschließungen und Sterbefälle vornahmen. Tobias Wessel ist der 24. Pfarrer und bekleidet dieses Amt seit dem Jahr 2000. Genau 56 Bände bewahrt Wessel im Pfarrarchiv des Wörbziger Pfarrhauses auf, darin sind Einträge aus Piethen, Edderitz, Gröbzig, Klein- und Großwülknitz, Dohndorf, Wörbzig und teilweise auch aus Frenz zu finden. Das älteste Kirchenregister stammt aus Dohndorf und wurde im Jahr 1627 begonnen.
Man kann aber davon ausgehen, dass eine Vielzahl von Dokumenten in den Kriegswirren verloren ging, überlegt Wessel, denn die Kirchengebäude selbst stammten zum Teil aus dem 13. Jahrhundert.
Daher ist es für den Pfarrer umso wichtiger, das, was überliefert ist, zu schonen. Denn je öfter so ein Kirchenbuch zur Hand genommen wird, um darin zum Beispiel Ahnenforschung zu betreiben, umso mehr leiden Papier und Einband.
So nahm Wessel 2006 das Angebot der ehemaligen Bernburger Beschäftigungsgesellschaft gern an, die die Digitalisierung der Kirchenbücher im Rahmen von AB-Maßnahmen anbot. Als dies auf diesem Wege dann nicht mehr fortgesetzt werden konnte, meldete Wessel über die Evangelische Landeskirche Anhalt weiteren Bedarf bei der Arge in Anhalt-Bitterfeld an, die die Maßnahme nun im Rahmen von Ein-Euro-Jobs fördert. Weit über 50 Prozent der Bücher seien inzwischen abgeschrieben, schätzt der Pfarrer.
Hobby motiviert zusätzlich
Sehr genau nimmt das zum Beispiel Matthias Pfeifer, nicht nur der Maßnahme wegen, in der er seit dem 1. Januar 2010 für ein Jahr beschäftigt ist, sondern auch wegen seines Hobbys, der Heimatgeschichtsforschung. Für Heike Hätsch, die sich zusammen mit Pfeifer täglich sechs Stunden lang in die alten Bände vertieft, kam das Angebot der Arge eher überraschend. "Zunächst habe ich gedacht, das kannst du doch gar nicht", erzählt sie. Nun hat sich die ehemalige Goldschmiedin aber schon ganz gut eingefuchst. "Ich erfasse die Dohndorfer Sterbefälle zwischen 1756 und 1800 in einer Tabelle", erklärt sie und fügt hinzu, dass sie immer wieder geschockt sei, wie früh vor allem Kinder damals gestorben sind. Immer wieder stößt Hätsch auf Säuglinge, die nur wenige Monate alt wurden.
So spektakuläre Einträge wie den des leibeigenen Türken, der 1691 auf dem Rittergut von Friedrich von Wietersheim auf den christlichen Namen Christian Friedrich getauft wurde, finden die Heimatforscher natürlich nicht alle Tage. Der Fund hatte im Sommer 2007 für Aufsehen gesorgt und dazu geführt, dass die türkische Zeitung Hürriyet nach Wörbzig kam, um weitere Recherchen anzustellen. Dennoch gibt so manches Kirchenbuch nicht nur wichtige Daten wieder, sondern auch merkwürdige Geschichten. Zum Beispiel die vom Pfarrer Christoph Stübner, der am 18. April 1700, noch auf seinem Totenbette, die Tochter von Hans Müller auf den Namen Catharina-Elisabeth taufte. Fünf Tage später verstarb der Pfarrer, wie dem Eintrag im Kirchenregister zu entnehmen ist. Eben jener Pfarrer war fünf Jahre zuvor offenbar noch einmal Vater geworden, denn unter dem Datum vom 3. Juni 1695 ist die Taufe seiner Zwillinge Gisela Augusta und Agnese Catharina vermerkt, bei denen keine Geringeren als Fürst Emanuel Lebrecht zu Anhalt-Köthen und seine Frau Gisela Agnes, geborene Rath - neben einigen anderen Persönlichkeiten - die Patenschaft übernahmen. Gisela Agnes wurde in Kleinwülknitz geboren und entstammte einer lutherischen Landadelsfamilie, was die Verbindung zur lutherischen Kirche nach Wörbzig erklären könnte.
In den Kirchenbüchern finden sich aber auch einige nicht alltägliche Todesfälle verzeichnet. So wurde am 17. September 1874 der 16-Jährige Gottfried Ludwig Naumann aus Wörbzig gegen 9 Uhr von einem Dampfpflug überfahren, und zwei Jahre zuvor, am 5. Oktober 1872, ertrank Carl-Friedrich Franz Ebert, 19-jährig, in der Nordsee. Der Wörbziger war Koch auf dem niederländischen Schoner "Jannetje" gewesen und offenbar über Bord gegangen.
Nur noch wenige Taufen
Manches der alten Kirchenbücher mag Pfarrer Tobias Wessel heute wegen seines Seitenumfangs mit etwas Wehmut betrachten. Damals wurden ja fast alle Kinder getauft, es wurde kirchlich geheiratet, konfirmiert und auch beerdigt wurden die Leute durch den Pfarrer, was die Bände füllte. Heute vollzieht Wessel im Jahr etwa fünf bis sieben Taufen und ein bis zwei Beerdigungen im Monat. Und für das laufende Jahr haben sich gerade mal fünf Konfirmanden eingetragen. Deshalb sind die Register im Laufe der Jahre immer dünner geworden. Und wenn sie erst einmal alle auf CD gebrannt sind, wird damit vielleicht auch ein Stück Geschichte ad acta gelegt - das der handgeschriebenen Kirchenbücher.