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Patientenanrufe Digitalisierung in Arztpraxen: Wie eine Hausärztin aus Weißandt-Gölzau auf Künstliche Intelligenz setzt

Wie Künstliche Intelligenz helfen kann, die Arbeit in einer Hausarztpraxis im ländlichen Raum besser zu organisieren, sodass niemand frustriert ist, zeigt das Beispiel von Dr. Andrea Morawe, die in Weißandt-Gölzau praktiziert.

Von Sylke Hermann Aktualisiert: 10.02.2025, 15:04
Seit April 2024 praktiziert sie in ihrer Hausarztpraxis in Weißandt-Gölzau: die Allgemeinmedizinerin Dr. Andrea Morawe.
Seit April 2024 praktiziert sie in ihrer Hausarztpraxis in Weißandt-Gölzau: die Allgemeinmedizinerin Dr. Andrea Morawe. (Foto. Sylke Hermann)

Weißandt-Gölzau/MZ. - „Das ist doch frustrierend, wenn immer besetzt ist und man einfach nicht durchkommt.“ Dr. Andrea Morawe kann gut verstehen, wenn Patienten dann verärgert sind, irgendwann sogar aufgeben. Doch für die Hausärztin ist das keine Option: „Das muss doch anders gehen“, sagt sie sich und sucht nach Lösungen. Sie findet eine, die alle begeistert – Patienten wie Praxispersonal: „Bei uns“, sagt die 35-Jährige, „geht Aaron ans Telefon.“

Aaron ist Teil des Teams. Aaron ist zuverlässig, belastbar, immer erreichbar – und nie krank. Doch Aaron ist kein Mensch. Aaron ist ein System, das auf Künstlicher Intelligenz basiert. Andrea Morawe ist eine glühende Verfechterin von Digitalisierung in Arztpraxen.

Traum erfüllt

Seit fast einem Jahr verarztet sie ihre Patienten in der Kirchstraße 5 in Weißandt-Gölzau. Das frühere Wohnhaus erfüllte alle Voraussetzungen, um ihren Traum von der eigenen Hausarztpraxis zu realisieren. 2021 ist sie in Radegast bei Elisabeth Funk eingestiegen, lernte dort zwei Jahre lang, wie ambulante medizinische Versorgung im ländlichen Raum funktioniert. Im Juli 2023 legte sie erfolgreich die Facharztprüfung ab und übernahm im Oktober die Praxis am Gestüt. Schon damals sei klar gewesen, dass das keine Dauerlösung sein würde. Sie wollte sich vergrößern und in Weißandt-Gölzau praktizieren, ihrem Heimatort.

An ihrer Arbeit liebt Andrea Morawe vor allem „die langfristige Patientenbetreuung“. Und den intensiven persönlichen Kontakt. „Ich bin hier das Mädchen von nebenan, dass viele noch von früher kennen“, sagt sie. Diesen Umgang miteinander schätzt sie sehr. Ihr gefiel auch die Arbeit im Köthener Krankenhaus, wo sie eine Menge gelernt habe – und doch entschied sie sich für die Selbstständigkeit: „Ich arbeite nicht weniger, aber selbstbestimmt.“ Das passe einfach besser zu ihrem Familienleben.

Dass die junge Frau einmal Ärztin werden würde, stand schon im Kindesalter fest. „Mit fünf habe ich das erste Mal mit meiner Puppe Visite gemacht.“ Ihre Idealvorstellung sei immer gewesen, Menschen helfen zu wollen. Im Studium, schildert sie, würde man zwar lernen, wie man Patienten mit welchen Symptomen behandelt, „aber niemand sagt einem, was auf ein rotes oder grünes Rezept gehört“. Das sei nur ein Beispiel, mit dem sie deutlich machen will, dass man praktische Erfahrungen wirklich erst in der Praxis sammeln könne.

Viel bedeute ihr zudem der Austausch mit Berufskollegen, der gerade zu Beginn extrem hilfreich gewesen sei. Sie engagiert sich im Hausärzteverband Sachsen-Anhalt und macht sich stark für „eine stabile wohnortnahe Versorgung“. Die Ende Januar im Bundestag beschlossene Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen begrüßt sie sehr: „Diese Errungenschaft, für die der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hart gekämpft hat, ist längst überfällig gewesen, um den hausärztlichen Bereich gerade für ländliche Regionen attraktiv zu machen.“ Das aktuell noch geltende System, in dem nicht jede Leistung honoriert wird, sei „nicht mehr tragbar gewesen“, sagt sie. „Beim Bäcker kann man auch nicht fünf Brötchen kaufen und nur vier bezahlen wollen.“ In Arztpraxen sei das gelebte Praxis.

Stresspotenzial gesenkt

Was sagen eigentlich ihre Berufskollegen dazu, dass sie Künstliche Intelligenz nutzt? Andrea Morawe lacht: Die Mehrzahl, glaubt sie, sei noch skeptisch, einige allerdings würden wie sie bereits mit digitalisierten Praxisstrukturen arbeiten und Aaron oder auch vergleichbare Systeme nutzen. „Mein Ziel war es, das Stresspotenzial bei meinen Patienten und meinen Mitarbeitern zu reduzieren.“ Und das funktioniert offenbar. „Es gibt im Praxisalltag immer wieder Situationen, wo keine Medizinische Fachangestellte ans Telefon gehen kann, weil das Wartezimmer voll ist und alle Behandlungszimmer belegt sind. Mit Aaron passiert das nicht. Aaron kann bis zu 50 Telefonate parallel annehmen.“ Annehmen und klassifizieren. Was heißt das?

Die Künstliche Intelligenz ist in der Lage, aus den Anrufen zu filtern, was der Patient möchte, sobald der Schlüsselbegriffe, wie Befund, Termin, Impfung, Check-up, Rezept oder Überweisung nennt. Auf dem Bildschirm kann das Praxispersonal verfolgen, was Aaron im Einzelnen tut. Jede Anfrage wird einer Rubrik zugeordnet, die farblich unterlegt ist. „Das hilft, den Überblick zu behalten.“ Die Hausärztin betont: „Es ist nicht so, dass Aaron einen Mitarbeiter ersetzt. Ich brauche jemanden, der mit Aaron kommuniziert und im ständigen Austausch steht“, erklärt sie. Das übernimmt jeden Tag jemand anderes aus ihrem Team. Aaron rotiert quasi in der Betreuung durch das Praxispersonal, das nicht ständigem Telefonklingeln ausgesetzt sei.

Versorgung strukturiert

Aaron fängt bereits eine Viertelstunde vor Praxisöffnung an, die Telefonate entgegenzunehmen und begrüßt alle Anrufer mit den Worten: „Guten Tag, ich bin Aaron, der digitale Assistent der hausärztlichen Praxis von Frau Dr. Morawe.“ Die Anliegen der Patienten werden sofort verschriftlicht. SMS nimmt Aaron auch entgegen – an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr. Ein Service, der bei ihren Patienten sehr gut ankäme. Die Option der Online-Terminbuchung über die Internetseite der Arztpraxis ebenfalls, resümiert die Medizinerin, die in der Digitalisierung der Praxisstrukturen „eine große Chance“ sieht, „eine strukturierte Versorgung ohne Frust“ zu ermöglichen.

Natürlich habe sie vor diesem Schritt Bedenken gehabt. Sogar die Befürchtung, ihre Patienten – vor allem die älteren unter ihnen – könnten die smarte Telefonassistenz ablehnen, vielleicht nicht damit zurechtkommen. Doch das Gegenteil sei der Fall. „Alle sind entspannter“, freut sich Dr. Andrea Morawe und unterstreicht noch einmal: „Ich bin sehr überzeugt von dem System.“