Casino wird Osternienburg-Treff
Osternienburg/MZ. - Die Herz Jesu Kirche liegt unmittelbar neben dem "Casino", der Schule von Osternienburg. In diese ist Bartosch bis zu seinem Wechsel zur Erweiterten Oberschule in Köthen gegangen. Das war im Jahr 1964. Der Bürgermeister weiß noch genau, wo sich sein damaliger Klassenraum befand: "Den Flur entlang, dann die kleine Treppe rauf. Rechts ist die Tür zu meinem alten Klassenzimmer."
Die Tür zum Klassenzimmer ist an diesem Montagnachmittag bereits verschlossen. Die Schule ist aus. Überall erinnern aber die verschiedensten Dinge an die Anwesenheit der Kinder. "Das Leben ist bunt" steht auf einem Plakat, um das Zeichnungen der Grundschüler gruppiert sind. Sie leuchten in allen Farben, die der Malkasten hergibt. Im Fensterbrett stehen kleine Kisten mit Bechern, die voller Erde sind.
Verschiedene Sämereien, die hier hineingestreut wurden, sind bereits aufgegangen. Das eine könnte Petersilie sein. Auf dem oberen Rand der Kisten stehen die Namen derjenigen, die diese Keimlinge pflegen. So weiß zum Beispiel jeder, wer seine Pflanzen regelmäßig gießt und wer sparsamer mit dem Wasser umgeht.
In Osternienburg stehen sich am unteren Ende der Lindenstraße zwei Schulen gegenüber. Die alte Schule, in die heute die Grundschüler gehen, und die Sekundarschule, die vor zwei Jahren geschlossen wurde und bis heute leer steht. Diesen Leerstand will der Osternienburger Gemeinderat gemeinsam mit Eltern, Handwerkern und vielen anderen Helfern ändern. Die Grundschule soll in die Sekundarschule umziehen.
"Die heutige Grundschule von Osternienburg ist nicht immer ein Schulgebäude gewesen", weiß Bartosch. "Ursprünglich war die Schule ein Casino." Das klingt nach Roulettetischen und Spielmarken. Ein Gedanke, der etwas in die Irre führt, aber auch nicht ganz falsch ist.
"Erbaut 1902" steht in großen Buchstaben an der Fassade dieses historischen Gebäudes der Gemeinde. "Das Casino ist ein Bauwerk von Solvay für die Angestellten und Beamten des Konzerns", weiß Bartosch genau. Es gab eine Bibliothek, ein Lesezimmer, ja sogar ein Billardzimmer, in dem sicherlich auch um kleine und größere Einsätze gespielt wurde. Hier rauchten die Herren ihre Zigarren und führten Männergespräche.
Bartosch und seine Gemeinderäte hatten nun den Gedanken, die Schulgebäude einfach zu tauschen und aus dem Casino ein Gemeindezentrum zu machen. Eine Art neues Casino für alle Osternienburger. Das Umsetzen dieses Vorhabens geht wacker voran: In der Sekundarschule, gebaut in den 80'er Jahren als Polytechnische Oberschule, sind die Handwerker voll im Gange. Zum Beispiel haben sie Türen eingebaut, die aus der Sekundarschule in Aken stammen. Die Akener Türrahmen haben die Kollegen auf die Osternienburger Rahmen aufgeschweißt. "Sonst würde das viel zu teuer", erklärt Bartosch.
In die neun Klassenzimmer sollen ab Beginn des neuen Schuljahres die Grundschüler einziehen. Ein Umzug über den Hof sozusagen. Im Eingangsbereich der künftigen Grundschule fallen farbige Bleiglasfenster auf: Neben Symbolen aus Industrie und Landwirtschaft, verschiedenen Gerätschaften aus dem Physik- und Chemieunterricht fallen auch ein paar gekreuzte Hockeyschläger auf, die aus Osternienburg nicht wegzudenken sind.
Auf dem Schulhof begrüßen sich Hausmeister Karl Landa und Bürgermeister. "Du könntest mir zur Hand gehen" sagt Landa zu Bartosch. "Im Computerraum brauche ich Hilfe beim Abkleben."
Sie einigen sich auf den nächsten Tag für den Einsatz. 9.30 Uhr kann Bartosch nicht. Da hat er schon einen Termin. Also kommt er 7.30 Uhr nach dem Frühstück.
Die ehemalige Sekundarschule hat die Gemeinde für einen symbolischen Euro gekauft. Für "Sicherungs- und Gestaltungsmaßnahmen" hat der Kreistag der Gemeinde 25 000 Euro bewilligt. Dafür sollen unter anderem auch marode Fenster erneuert werden, was zum Teil auch schon geschehen ist. Die Summe vom Kreis hat die Gemeinde noch einmal verdoppelt. "Wenn die 25 000 Euro nicht gekommen wären, hätten wir die Schule nicht genommen", macht Bartosch deutlich. Die Schülerzahlen sieht der Bürgermeister als gesichert: Auch in den nächsten Jahren rechnet er mit 100 Schülern und mehr, die aus Osternienburg und Umgebung kommen.
Das einstige Casino nebenan fällt durch einige sehr interessante Details auf: Von der Decke im Saal blicken Köpfe aus Stuck.
Am eisernen Geländer ranken Blumen und Blätter. Es gibt grüne Blätter aus Stuck an den Wänden, die von weißen Blüten gekrönt werden. Dass sich das Casino innen wie außen in einem guten Zustand befindet, sieht auch der Laie sofort: Hier sind in den letzten Jahren beträchtliche Mittel hinein geflossen, die z.B. aus der Dorferneuerung kamen, klärt Bartosch auf. Nach dem Umzug der Grundschule soll aus dem Casino ein Gemeindezentrum für Osternienburg werden. Die Bibliothek des Ortes - wieder eine Bibliothek! - kann dann ihre Bestände hier ausbreiten.
Bartosch stellt sich ein kleines Museum vor, das die Ortsgeschichte dokumentiert und auch wechselnde Expositionen aufnimmt. Zimmer für Vereine und Arbeitsgemeinschaften bieten sich an. Bartosch möchte, dass Kinder und Jugendliche hier einen Teil ihrer Freizeit verbringen können. Die kleine Aula der heutigen Grundschule im Casino ließe sich für Familienfeiern wie auch Feierlichkeiten des Ortes einrichten. Bartosch schmiedet viele Pläne. Auch sein Arbeitszimmer, das Büro des Bürgermeisters, möchte er in das Casino verlegen.
Vom Casino zur Schule bleibt es ein Katzensprung. Den Hof zwischen beiden Gebäuden bildet eine graue Betonfläche. Auf dem Beton malen die Kinder in der Pause mit Kreide die verschiedensten Phantasiegebilde: Häuser, Gesichter, ganze Bildergeschichten. Vielleicht auch eines Tages die Geschichte vom Umzug ihrer Schule.