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Auf den Spuren der Steinzeitmenschen Auf den Spuren der Steinzeitmenschen: Archäologen finden Erdwerk in Libehna

Von Matthias Bartl 22.10.2015, 12:47
Archäologin und Grabungsleiterin Andrea Moser blickt am 22.10.2015 auf ein rund 6000 Jahre altes Grabensystem in Libehna (Sachsen-Anhalt). Die Anlage war einst ein System aus Erdwällen und Gräben und für die jungsteinzeitlichen Menschen ein besonderer Ort.
Archäologin und Grabungsleiterin Andrea Moser blickt am 22.10.2015 auf ein rund 6000 Jahre altes Grabensystem in Libehna (Sachsen-Anhalt). Die Anlage war einst ein System aus Erdwällen und Gräben und für die jungsteinzeitlichen Menschen ein besonderer Ort. dpa Lizenz

Libehna - Kulturlandschaft, wohin das Auge blickt. Beste Raps- und Rübengegend mit entfernten Kirchtürmen, unter denen sich kleine Dörfer ducken. Heimelig, gut gepflegt, ordentlich - aber bemerkenswert sieht anders aus. Sucht man in Libehna (Kreis Anhalt-Bitterfeld) Besonderes, muss man weit in die Vergangenheit zurückgehen. Weit zurückgehen: Vor 6 000 Jahren haben Ackerbauern und Siedler hier an exponierter Stelle ein Erdwerk errichtet, dessen Dimensionen verblüffen.

Fläche von 20 Hektar

Gleich drei konzentrische, ineinander gestaffelte Wall- und Grabensysteme umschließen eine fast kreisrunde Innenfläche von 20 Hektar. Der äußere Graben hat eine Gesamtlänge von fast 700 Metern.

Der Zahn der Zeit und die intensive Landwirtschaft auf den ertragreichen Böden haben das Bauwerk aber dem Erdboden gleichgemacht und darüber einen Mantel des Vergessens ausgebreitet. So lange, bis Archäologen hier ihre Zelte aufschlugen und in Vorbereitung des Weiterbaus der B 6n von Köthen bis zur A 9 ihre Arbeit aufnahmen. Und schnell erkannten, was ihnen Bauplanung und Zufall da vor die Füße gelegt hatten.

Nicht mehr und nicht minder als dass Geschichte neu geschrieben werden muss, wie Projektleiterin Susanne Friederich vom Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege feststellt. Diesmal das Kapital eines ganz speziellen Abschnitts der Erdgeschichte. Denn in Nachbarschaft der Gräben hat das Team um Grabungsleiterin Andrea Moser Gruben der sogenannten Schiepziger Gruppe gefunden, einer Kulturstufe der Jungsteinzeit, die erst 2005 bei Ausgrabungen im Vorfeld des Baus der A 143 bei Salzmünde (Saalekreis) erkannt und benannt worden war.

Viele Keramikbruchstücke

Wie bei Salzmünde fanden sich in den Gruben bei Libehna Scherbenpackungen aus einer Vielzahl von Keramikbruchstücken, von denen einige Beilspuren tragen. Zudem fanden sich unter der Schicht aus tönernem Füllstoff, also auf der Sohle der Grube, Knochen. Der Totenkult der Schiepziger Gruppe scheine das ganze vierte Jahrtausend vor Christus geprägt zu haben, so Susanne Friederich - und hier wird dann auch die historische Dimension des Fundes erkennbar: Über die Schiepziger Gruppe wissen die Bodendenkmalpfleger bislang nicht viel. Sie ist kaum erforscht, bisher sind nur wenige Fundplätze bekannt. Umso größere Bedeutung messen die Archäologen dem Erdwerk von Libehna bei. Denn in diesem lässt sich ein Bogen zu dem von Erdwerken charakterisierten mittelsteinzeitlichen Mitteldeutschland spannen. Und die Funde von Libehna zeigen auch, dass die Riten, die in Salzmünde praktiziert wurden, schon rund 1 000 Jahre früher die Region prägten. „Das vierte Jahrtausend vor Christus war eine Zeit, die von Umbrüchen gekennzeichnet war“, erklärt Archäologin Friederich. Die zweite neolithische Revolution sorgte für kulturelle Verschiebungen und auch die Verschiebung von Lebensräumen. Gut möglich, dass der Ursprung für den Bau des Erdwerkes genau darin zu finden ist. Susanne Friederich kann zwar nicht ganz ausschließen, dass das nun entdeckte Wall-Graben-System zu Verteidigungszwecken errichtet wurde. Doch sie hält es für wahrscheinlicher, dass Wälle und Gräben ein „Kraftort“ waren. Dass die ausgedehnte Anlage auf Fremde als eindrückliche Demonstration von Macht und Stärke diente, dass sie eine besondere Dominanz ausstrahlte.

Der Blick von dem kleinen „Feldherrenhügel“, den die Archäologen am Rand der Ausgrabungen aufgeschüttet haben, um den Gästen eine Draufsicht auf das Gelände zu ermöglichen, macht diese Hypothese vorstellbar. „Es ist“, sagt Susanne Friederich und breitet die Arme aus, „als wolle derjenige, der dies hat bauen lassen, allen sagen: Ich bin da!“ Auch in späteren Jahren habe der Geländerücken, auf dem sich das Erdwerk befindet, niemals an Bedeutung verloren, sagen die Archäologen. Abseits der Gräben wurden Häuser aus der späten Bronzezeit, Vorratsgruben und Bestattungsstellen gefunden.

Und wenn man will, kann man die Bedeutung bis heute fortschreiben. Just an der Ausgrabungsstelle befindet sich eine „viergliedrige Wegespinne“, kein Produkt eines am Reißbrett geplanten Straßenbaus, sondern entstanden aufgrund alter Gegebenheiten.

Und kurioserweise führt auch der Fernwanderweg E 11 punktgenau durch das Grabenwerk. (mz)

Archäologin und Grabungsleiterin Andrea Moser arbeitet am 22.10.2015 in Libehna (Sachsen-Anhalt) an einer Amphore aus der Jungsteinzeit. Das Gefäß wurde auf dem Gelände eines rund 6000 Jahre alten Grabensystems entdeckt.
Archäologin und Grabungsleiterin Andrea Moser arbeitet am 22.10.2015 in Libehna (Sachsen-Anhalt) an einer Amphore aus der Jungsteinzeit. Das Gefäß wurde auf dem Gelände eines rund 6000 Jahre alten Grabensystems entdeckt.
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In unmittelbarer Nähe wurden in Gruben Keramikscherben und menschliche Knochen entdeckt.
In unmittelbarer Nähe wurden in Gruben Keramikscherben und menschliche Knochen entdeckt.
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