Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Gründerzeit am Ort der Schrumpfung
KÖTHEN/MZ. - Wenn man den Bogen noch weiter spannt, ließen sich weitere Gründerzeitviertel hinzufügen, ja selbst die Rüsternbreite gehörte städtebaulich gesehen in dieses Konzert hinein. Und die Lutzeklinik wegen ihrer Verbindung zur Homöopathie - denn das Thema der IBA in Köthen lautete und lautet "Homöopathie als Entwicklungskraft". Insofern war der Musiksaal der Lutzeklinik der passende Treffpunkt für einen Gedankenaustausch zum Thema "Reminiszenzen und Folgen aus dem Köthener IBA-Prozess 2003-2010".
Dabei war die Idee, die Methodik der Homöopathie zumindest partiell für die Stadtplanung im Umfeld einer schrumpfenden Stadt heranzuziehen beiderseits von einer gewissen Skepsis umweht. "Das ist ja bekloppt", antwortet der homöopathische Arzt Christoph Laurentius auf die Frage, was er gedacht habe, als er zum ersten Mal davon hörte. "Unmöglich", fand Werner Georges, Köthens Stadtplaner, als er von der Idee Kenntnis bekam. Längst aber sehen beide das Nutzbare deutlicher. Eine spannende Sache, befindet Laurentius nun, Erkenntnisse aus der Medizin in den Alltag zu integrieren, und Georges verwendet medizinische Begriffe wie Anamnese inzwischen ganz selbstverständlich, wenn es um die Suche nach stadtplanerischen Problemgründen geht.
"Die IBA", so Architekt Dietmar Sauer, "muss jetzt eigentlich erst losgehen." Sauer will das Wohnen wieder mehr in die Stadt hineinplanen, in die Gründerzeitviertel südlich des Stadtkerns, in die Lücken, die sich in den Straßen aufgetan haben. Die Ludwigstraße ("Ein Etappensieg", so Architekt Michael Zimmer) war dafür ein Experimentierfeld, das in der Konsequenz als Erfolgsgeschichte angesehen wird, eben weil es dort mit der Provokation als homöopathischem Prinzip und dem "Patientengespräch" gelungen ist, die Bewohner in den Prozess der Entwicklung ihres Quartiers einzubeziehen. Ein Prozess, der nicht beendet ist und den man nicht überstürzen muss: "Wir können uns Zeit lassen", sagt sauer, "wir dürfen es nur nicht aus den Augen verlieren." Wichtigstes Ergebnis in der Ludwigstraße war der Nicht-Abriss, sagt Georges - und stellt gleichwertig daneben, dass es gelang, die Bewohner zur Eigeninitiative zu aktivieren. Das sei für Köthen nicht das übliche Bild, "hier lehnt man sich in solchen Dingen gern etwas zurück".
Was man schon am Friedenspark sehen kann. Dort hat die IBA in Köthen mindestens eine Schlacht verloren - aber aufgegeben hat man deswegen das Projekt Friedenspark noch lange nicht, wie Curt Kösters meint, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), der die jüngsten Initiativen von Fachhochschulstudenten, den Park wieder in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung zu lenken, genau registriert hat. Die Diskussion über genau diese Wahrnehmung erbringt schon in der kleinen Runde im Musiksaal durchaus Konträres: Bernhard Thomalla, Köthener Bürger, will weniger Holz im Park, mehr Beleuchtung, mehr Sicherheit letztlich. Und dass lichtscheue Gesellen dort keinen Platz mehr finden.
Die Stadt, so Werner Georges, habe eine Anamnese durchgeführt - die meisten Befragten brauchen den Park nicht, nur als Passage in die Stadt oder zurück. Sehe man genauer hin, gebe es aber viele Nutzungen: für Kinder, für Hundebesitzer, für Jogger. Norbert Postler, der sich für den Friedenspark engagiert und die Studenten unterstützt, will "weg vom Durchgangspark, hin zum Aufenthaltspark". Und Kösters bringt ein Beispiel aus Hamburg, das sich gut auf Köthen anwenden lässt und fragt: "Wie lässt sich das Interesse der Einwohner an dem Park wecken?" Die Studenteninitiative sollte befördert werden, findet auch Brigitte Take, Landtagsabgeordnete und Stadträtin für die CDU: "Wir brauchen Impulse von außen." Vielleicht könnte der Friedenspark ja auch ein Gartentraum werden.
Wohin die Reise für Köthen nach der IBA geht - darüber wurde im Musiksaal gut zwei Stunden lang gesprochen. Eine Vielzahl dessen, was dort in kleinem Kreis der Öffentlichkeit, den man sich durchaus größer gewünscht hätte, angesprochen wurde, wird die Stadt in den nächsten Monaten, Jahren und Jahrzehnten beschäftigen (die MZ berichtet noch). Insofern wäre es vielleicht keine schlechte Idee, solche Denk- und Diskutier-Runden zu einer ständigen Einrichtung werden zu lassen.