Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Gefahr aus dem Brunnen
GÖRZIG/MZ. - Die Gemeinde Görzig hat Probleme mit ihren Brunnen: Das Wasser ist stark mit dem Unkrautbekämpfungsmittel Bentazon und Düngemittel-Rückständen belastet. Und das nicht erst seit Freitag. "Es wird für den gesamten Ortsteil Reinsdorf eine Nutzung des Grundwassers zu Trink- und Brauchwasserzwecken ausdrücklich nicht empfohlen", hieß es schon im Juni 2009 in einer Bekanntmachung, die in den örtlichen Info-Kästen angebracht wurde. Heute, ein Jahr später, ist in der Gemeinde ein ähnlicher Aushang zu sehen, in dem der zitierte Satz fast wörtlich vorkommt. Der Unterschied ist nur, dass jetzt vor dem Gebrauch des Grundwassers neben Reinsdorf auch in Görzig gewarnt wird. Angaben zur Höhe der Belastung werden nicht gemacht.
Der Grund für die Info-Aktionen sind Messungen des Gewässerkundlichen Landesdienstes. Im Jahre 2008 wurde in Reinsdorf ein sprunghafter Anstieg der Konzentration von Bentazon im Grundwasser registriert. Enthielt dort ein Liter Wasser im Oktober 2007 19 Mikrogramm Bentazon (ein Mikrogramm ist ein Millionstel Gramm), waren es 2008 im Juli schon 80, im Oktober 130 und im Dezember sogar 180 Mikrogramm.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält es zwar für duldbar, wenn ein Mensch täglich zwei Liter Wasser mit einer Bentazon-Konzentration von 350 Mikrogramm trinkt. Allerdings liegen zu Auswirkungen von Bentazon auf den Menschen nicht viele Forschungsergebnisse vor. Tierversuche mit sehr hohen Dosen dieses Stoffes sollen eine Veränderung bei der Blutgerinnung ergeben haben. In Deutschland liegt übrigens der zugelassene Höchstwert für Pflanzenschutzmittel im Trinkwasser bei unter 0,1 Mikrogramm pro Liter.
Der plötzliche Anstieg der Bentazon-Konzentration beunruhigte die Behörden. Zumal das Grundwasser in Reinsdorf auch durch Nitrate stark belastet ist. Nitrate sind Salze der Salpetersäure, die als Dünger verwendet werden. Im menschlichen Körper können sie sich ansammeln und unter anderem zu Krebserkrankungen führen. Also forderte die Verwaltung des Landkreises im Februar 2009 die Gemeinde auf, die Bürger in Reinsdorf darauf hinzuweisen, dass "bei der Nutzung des Grundwassers zu Trinkzwecken eine Gesundheitsgefährdung nicht auszuschließen ist".
Wenige Monate später warnte das Kreisumweltamt in einem Schreiben an die damalige Verwaltungsgemeinschaft Südliches Anhalt erneut vor Bentazon im Grundwasser. Diesmal geht es nicht nur ums Trinken. "Bei einer Beregnung der Gartenflächen mit bentazonhaltigem Grundwasser ist eine schädliche Verunreinigung des Bodens zu befürchten", heißt es in dem Schreiben. "Es wird deshalb empfohlen, das Grundwasser nicht zur Bewässerung zu nutzen."
"Bentazon als Wirkstoff zur Unkrautbekämpfung kann durch Pflanzen aufgenommen werden und diese schädigen", bestätigt Fred Walkow, Dezernent für Bau und Umwelt der Landkreisverwaltung Anhalt-Bitterfeld. "Die Aufnahme belasteter Pflanzen oder belasteten Grundwassers wiederum kann zu einer Belastung des Menschen führen."
Wie es zu der plötzlichen, hohen Belastung des Grundwassers in der Gemeinde Görzig gekommen ist, ist bis heute nicht geklärt. Laut Mathias Weiland, Geschäftsbereichleiter des Gewässerkundlichen Landesdienstes, stützen die Messergebnisse die Vermutung, dass "sich die Quelle der Bentazon-Belastung in der Ortslage Reinsdorf befindet". Eine genaue Ursache für die hohe Bentazon-Konzentration im Grundwasser habe bisher jedoch nicht eindeutig festgestellt werden können. "Weitere Untersuchungen werden durchgeführt", so Weiland.
Dezernent Walkow zufolge deutet die hohe Bentazon-Konzentration auf "ein lokales Schadensereignis und einen direkten Eintrag von Bentazon ins Grundwasser" hin. "Als Ursachen kommen unsachgemäßer Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln beziehungsweise eine illegale Entsorgung von Restbeständen in Frage", erklärt er.
Im vergangenen Jahr ging die Konzentration von Bentazon in Reinsdorf zwar zurück. Im April 2009 betrug sie 94 Mikrogramm pro Liter, im September 62. Eine Messung im Mai 2010 registrierte allerdings wieder einen Sprung nach oben: 80 Mikrogramm pro Liter. In der Zwischenzeit stieg die Bentazon-Belastung auch in Görzig an. Die Konzentration dieses Stoffs im Notwasserbrunnen in der Bahnhofsstraße erhöhte sich zwischen 2009 und 2010 von 0,13 auf 3,5 Mikrogramm pro Liter. Mathias Weiland erklärt diese Ausbreitung durch Grundwasser-Strömungen von Reinsdorf aus in südlicher Richtung zum Fuhnetal hin. In der Kuhfuhne unterhalb Görzigs gab es im Jahr 2008 8,9 Mikrogramm Bentazon pro Liter Wasser, Ende April 2010 waren es bereits 20 Mikrogramm.
Die Warnung vor der Grundwassernutzung für Reinsdorf und Görzig gilt also voll weiter. Da die Gemeinde an eine zentrale Trinkwasserleitung angeschlossen ist, fällt es den Einwohnern leicht, beim Trinken oder Kochen auf Brunnenwasser zu verzichten. Beim Gießen sieht es offenbar anders aus. "Ich gieße meinen Garten mit Brunnenwasser", so ein Görziger gegenüber der MZ. "Auch aus anderen Höfen hört man Brunnenpumpen-Geräusche." Schließlich verfügen hier viele über einen Brunnen. Mit Brunnenwasser zu gießen, schont das Portemonnaie.