Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Eine Kirche aus Stroh für einen besonderen Moment
GROSSPASCHLEBEN/MZ. - Dieter Orzessek war auf das Bauwerk stolz wie ein Spanier. "Haben Sie es sich genau angesehen?", bohrte er und setzte gleich hinzu, was man auf keinen Fall hätte übersehen dürfen: "Zwei Türme. Das sieht nach was aus." Die Strohkirche nämlich, die der Präsident der Hochschule Anhalt auf dem Terrain des Forellenhofes in Großpaschleben extra für seine Sekretärin hatte errichten lassen. Ivonne Tausche, die seit 14 Jahren Orzessek "zeitlich durch mein Berufsleben führt", hatte am Freitag, dem 13., den Bund der Ehe geschlossen - und vor Jahren schon einen besonderen Wunsch geäußert für den Fall, dass sie einmal unter die Haube käme. "Wir bauen doch zum Erntefest in Strenzfeld immer eine Strohkneipe", erläuterte Prof. Dr. Orzessek. "Und das hat Frau Tausche einmal den Wunsch geäußert, in einer Strohkirche zu heiraten. Und ich habe leichtsinnigerweise versprochen, eine zu bauen."
Im Frühjahr fiel Orzessek denn auch aus allen Wolken, als seine Vorzimmergewaltige ihre Hochzeitspläne offen legte und an das Versprechen erinnerte. Und wenigstens eine kleine Kirche wollte - "aber etwas Kleines gibt es für die Hochschule nicht", stellte der Präsident selbstbewusst fest - und so wuchs im hinteren, ein klein wenig abgeschiedenen Bereich des Forellenhofes mit Hilfe der Bernburger Diakonie die zweitürmige Strohkirche innerhalb von zwei Tagen aus dem Boden.
In aller Abgeschiedenheit musste die Kirche deswegen errichtet werden, weil die Braut natürlich nichts von den Bemühungen ihrer Kollegen erahnen sollte. Und Ivonne Tausche war tatsächlich total überrascht, als sie plötzlich von einer deutsch-marokkanischen Brauträuberbande entführt und zur Kirche gebracht wurde. Ihr Frischangetrauter, Jan Soika, musste ihr als tapferer Reitersmann per Pferd folgen. In der Kirche wurde das Paar von diversen historischen und nicht ganz so historischen Figuren empfangen, hinter denen allesamt Hochschul-Personal steckte, das mit viel Freude an der Verstellung ein besonderes Hochzeits-Schauspiel aufzog - vom Klosterbruder Karsten, der die Glocke läutet (auch die war nicht vergessen worden) bis hin zum 5 000 Jahre alten Getreidebauern Heikomulus samt seinen Lieblingsfrauen Ailinia, der Mutigen, und Schöpsana, der Wohlgeformten. Nicht fehlen durften auch gleich zwei Goldesel namens Aslan und Benjamin, die üblicherweise beim Erntefest auftreten, zur Hochzeit Tausche-Soika jedoch durch Katharina Stephan und Ralf-Otto Brandtner nach Großpaschleben gebracht worden waren, um sozusagen den Vätern von Braut und Bräutigam als Finanziers der Veranstaltung symbolisch an die Hand gegeben zu werden.
Ganz zu schweigen davon, dass Professoren und Mitarbeiter als Protokollchef, Bischof, Gott Bacchus, Musikanten und Wissenschaftsvertreter beigeordnet waren. Und an der Spitze der Präsident, der sich in eine bestickte ukrainische Bluse und eine vermutlich in Fernost genähte Hose gewandet hatte und in Stiefeln aus der BA-Kammer des Warschauer Vertrags steckte.
Orzessek erinnerte sich an die Zeit vor 14 Jahren, als er gerade Präsident geworden und auf der Suche nach einer neuen Sekretärin war. Der damalige Kanzler habe ihm eine besorgen wollen, "aber das, habe ich gesagt, mache ich selbst." Und zwar mittels einer Ausschreibung, auf die 120 Bewerbungen eingegangen seien. Unter diesen suchte man 15 aus, die in die engere Wahl kamen und auf ihre Tauglichkeit hin getestet wurden - z. B. auf die Arbeit am PC und bei der Organisation einer Dienstreise. Der einstige Personaldezernent hatte ein kompliziertes Schema und dazugehöriges Punktsystem entworfen, um die beste aller Sekretärinnen quasi wissenschaftlich zu ermitteln. Orzessek verfolgte das interessiert und teilte dann mit: "Lassen Sie das mal. Ich nehme die Tausche, die riecht so gut." Für den Personaldezernenten, erinnert sich der Präsident und grinst fröhlich, sei eine Welt zusammengebrochen. Allerdings habe sich herausgestellt, dass nicht nur die Chemie stimmte, sondern auch die Punktbewertung. Die Geschenke fürs junge Paar kamen denn auch von Herzen, ob nun Hühnergott oder mühsam aufgetriebene Kartoffeln der fast verschollenen Sorte "Ackersegen" oder ein Hufeisen als Glücksbringer. Ivonne Tausche jedenfalls durfte sich angesichts dieser besonderen Form kollegialer Anerkennung glücklich schätzen, nicht nur den Mann für Leben gefunden zu haben, sondern offensichtlich auch die richtige Truppe für den beruflichen Alltag.
Und glücklich schätzen durfte sich auch Forellenhofbetreiber Nickel, der auf dem Gelände auch diverses Getier untergebracht hat. Darunter auch Pferde - und die dürfen demnächst auf Kirchen-Baumaterial liegen.