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«Wir tragen es mit Wehmut»

Von Detlef Mayer 29.06.2005, 15:37

Seyda/MZ. - "Wir tragen es mit Wehmut und schwerem Herzen. Aber die Zeichen der Zeit darf man nicht übersehen." Für Hans-Georg Schulze und seine Frau Margarete ist am Donnerstag der letzte Tag, an dem alles annähernd so ist wie immer. Ab Freitag gibt es die Seydaer Germania-Drogerie in der Bergstraße 8 nicht mehr.

"Wir sind Rentner, die Kräfte lassen nach, und an das, was heute im Handel passiert, können wir uns nicht mehr anpassen. Das hat uns bewegt, jetzt den Schlusspunkt zu setzen." Ein Nachfolger war nicht zu finden. "Auch unser Sohn und die Schwiegertochter haben weder das Interesse noch die Ausbildung, das Geschäft weiterzuführen." So steht seit einiger Zeit im Schaukasten "Rausverkauf" und "Geschäftsräume zu vermieten". Zudem verrät das Schaufenster mit rot aufgesprühter Schrift: "Letzte Tage Dienstag, Mittwoch, Donnerstag".

Auch wenn sich Hans-Georg Schulze noch nicht so richtig vorstellen kann, was er mit der Zeit anfangen wird, wenn früh nicht mehr die Jalousien hochzuziehen und die Ladentüren aufzuschließen sind, meint er zurückblickend doch: "Wir haben immer unser Einkommen gehabt. Wer kann heute schon noch sagen, das ganze Leben über in seinem erlernten Beruf gearbeitet zu haben." Und natürlich vergisst der Geschäftsmann in den letzten Stunden der Germania-Drogerie seine Kunden nicht: Er bittet sie um Verständnis für die Schließung und bedankt sich bei ihnen für die jahrzehntelange Treue.

Am Freitag endet eine fast 100-jährige Familientradition (siehe Kasten Geschichte), ein Stück altes Seyda verabschiedet sich. "Ich bin der Letzte in dritter Generation", fasst Hans-Georg Schulze das zusammen. Auch der Letzte, der bei den Leuten in Seyda und Umgebung unter dem Namen "Drogen-Schulze" bekannt ist. So wurde schon sein Großvater genannt, und das machte Sinn bei den vielen Schulzes, die es mal in Seyda gab. Übrigens existierte früher noch eine zweite Drogerie, nämlich von Friedrichs, in Seyda.

Vater Georg und die Großeltern, die das Geschäft begründeten, haben dem Sohn und Enkel seinen Weg vorgezeichnet. "Da gab es damals nicht viele Diskussionen." Von 1952 bis 1955 lernte Hans-Georg Schulze in einem Privatgeschäft in Wittenberg Drogist. "Wittenberg war damals so etwas wie eine Drogerie-Hochburg." Der Unterricht dazu wurde in Halle erteilt. Anschließend arbeitete er, bis er 1963 das Geschäft übernahm, bei seinem Vater. Die Zeit des Sozialismus habe ihn geprägt, meint der Seydaer. Obwohl ihm die Privatwirtschaft nach der Wende nicht völlig fremd vorgekommen sei.

Hans-Georg Schulze, seit 2003 Rentner, ist noch ein Drogist der alten Schule. "Diesen Beruf gibt es heute durch die großen Märkte (in Seyda hat sich Schlecker angesiedelt - die Redaktion) eigentlich nicht mehr." Und "Drogen-Schulzes" hatten sowieso immer eine Sonderstellung. Wegen der ländlichen Größe von Seyda waren sie gezwungen, viele Beisortimente zu führen, um auf eine erquickliche Handelsgröße zu kommen. Das erweise sich jetzt beim Ausverkauf als Handicap, zumal gegen Ende eines Monats selbst bei 50-prozentiger Reduzierung nicht viel abzusetzen sei. "In der Art, wie wir's geführt haben, ist ein Geschäft eben nicht mehr zu halten."