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Tradition in Plossig Tradition in Plossig: Mit Sonne im Herzen

Von Gabi Zahn 04.02.2015, 17:20
Bestes Wetter und vergnügte Leute: Reichlich die Hälfte des Dorfes haben die Plossiger hinter sich, als diese urige Aufnahme entsteht.
Bestes Wetter und vergnügte Leute: Reichlich die Hälfte des Dorfes haben die Plossiger hinter sich, als diese urige Aufnahme entsteht. G. Zahn Lizenz

Plossig - Was derzeit in hiesigen Dörfern passiert, bekommen (Groß-)Städter nur bei einem Erlebnisurlaub geboten: eine musikalische Familienwanderung mit Tanz im Freien bei reichlich frischer Luft und Sonne, herzliche Gastgeber, kulinarische Leckerbissen und himmlische Tröpfchen.

Zempern – so heißt dieses winterlich-karnevalistische Ereignis. Die Plossiger feiern es ausgiebig – „und wie immer mit Sonne von oben und im Herzen“, versichert Volkmar Müller, als er vor seinem Haus ein Buffet aufbaut. An seiner Seite warten Michael Franke, Olaf Berger und Henri Strönisch, drei gestandene Karnevalisten aus Leipzig, auf die Zemperleute: „Wir kennen uns aus närrischen Hoch-Zeiten“, verrät Franke. Volkmar Müller hat in Prettin viele Jahre den früheren Heidecker Carneval-Club (HCC) geleitet. Das turbulente Fastnachtswochenende bietet den Anlass, die närrische Freundschaft aufzufrischen.

„Der Fastnachtstanz war urgemütlich, aber leider etwas wenig besucht, obwohl wir reichlich Schleifen eingesammelt hatten“, resümiert Platzmeisterin Ramona Döring. Beim Zempern habe es jedoch regen Zuspruch gegeben. „Wir danken allen, die uns unterstützt haben“, sagt sie. Der große Zemperschmaus in Plossig findet am Rosenmontag statt. Im „Deutschen Kaiser“ werden um 14 Uhr zunächst die Senioren zum gemütlichen Beisammensein an die Tafel gebeten. Am Abend sind alle anderen eingeladen, sich an den festen und flüssigen Spenden gütlich zu tun.

Der „Deutsche Kaiser“ ist Ausgangs- und Endpunkt des Rundweges. Mehr als 50 spaßig aufgelegte Plossiger sind als Urmenschen, Teufel, Priester, Indianer oder in anderen Verkleidungen unterwegs. Sogar ein über das Freihandelsabkommen TTIP importierter Schneemann hat es bis Plossig geschafft – ohne Zoll zu zahlen. Dafür spendiert seine Frau Ricarda Ruprecht selbst gebackene Pizza als Wegzehrung. Wer jedoch nicht zur Zemperschar gehört und den Ort passieren will, wird angehalten und „muss“ einige Euros löhnen. „Lieber an Euch als an den Fiskus“, kommentiert ein Autofahrer. Die Platzmeisterinnen – Mutter Ramona und Tochter Katrin Döring – danken herzlich, während die „Lustigen Musikanten“ aus Großrössen noch ein Extra-Ständchen bieten. Bis ans Ende der Lebiener Straße, zurück über die Dorfstraße und die Plossiger Landstraße führt die Tour fast fünf Stunden bis hin zum „Brennpunkt“ Däumichen/Lindner. Ramona und Katrin kennen ihre Pflicht und fordern jeden Gastgeber zum Tänzchen auf. Meist gibt es etwas zu trinken, oft auch zu essen. Die Kinder freuen sich darüber ebenso wie die Erwachsenen.

Ilse Seidel serviert wieder die „allerbesten Fischbrötchen“, wie die Hungrigen mit vollen Mündern verkünden. „Seit sieben Jahren halte ich das so. Der Fisch wird zwar immer teurer, aber die Zemperleute sind mir das wert“, stellt die Hausfrau lachend klar. Anderswo lockt Gebackenes, bei Familie Meißner sind es Fettbemmen mit hausgemachtem Schmalz und sauren Gurken. „Man hat ja schon so viel gegessen, aber es schmeckt eben sooo gut“, frohlockt Uwe Leipold und klopft prüfend in Bauchhöhe auf seine Mönchskutte. „Da ist noch Platz drunter!“, meint er.

Hausherr Lothar Meißner ist Hobby-Imker und preist heißen Met an. Der süffige Honigtrunk durchzieht den Leib mit wohliger Wärme. „Trinkt! Der ist gesund“, wirbt Mutter Luise. Sie sitzt vergnügt auf der Bank vorm Haus, wo sie im wahrsten Sinne des Wortes Hof hält. „Lieschen“, wie sie liebevoll im Dorf genannt wird, ist mit 95 Jahren die älteste Einwohnerin von Plossig. Sie freut sich, dass so viele Generationen von Einwohnern miteinander unterwegs sind. Sogar der jüngste Plossiger ist dabei. Erst drei Monate zählt Mick, der Sohn von Steffi Schildhauer: „Mein kleines Teufelchen“, nennt ihn die Mama. Und tatsächlich „wachsen“ rote Filzhörner auf der Mütze.

Am Haus von Familie Pötzsch steht zwischen Tochter Petra und Schwiegersohn Wilfried auch Oma Elfriede Däumichen auf der Freitreppe. Ihr geht es im Torgauer Seniorenheim richtig gut, erzählt die 95-Jährige. Aber die Zemper-Leute will sie unbedingt in Augenschein nehmen. Damit die gut gestimmte „Meute“ eine Weile bleibt, schenkt Wilfried Pötzsch reichlich vom hauseigenen Glühwein aus.

Viel bestaunt wird der von Franz Döring chauffierte Zemperwagen, den die Kinder als Kutsche nutzen. Werner Hering, Gerald und Andrea Blüthgen gestalten ihn jedes Jahr neu. Diesmal trägt das Gefährt die Aufschrift: „20 Jahre Wagenschmiede“ und zeigt Schnappschüsse von Zempertouren aus zwei Jahrzehnten. Auf einem zweiten Wagen steuert Matthias Thieme das Modell des „Dampfsäge- und Hobelwerkes Oskar Schmidt“ durchs Dorf. Von 1899 bis 1999 hat der Betrieb existiert.

Überhaupt sind die Plossiger sehr traditionsbewusst: Die hübsche Geldkassette, die Ramona Döring mit sich führt, stammt aus den 1970er Jahren. Noch wertvoller ist den Einwohnern die altertümliche Glocke der Platzmeister. „Schon vor mehr als 100 Jahren wurden damit die neuesten Nachrichten im Dorf verbreitet“, weiß Detlef Ruprecht. Beide Relikte bleiben übers Jahr gut verwahrt, bevor sie an die nächsten Platzmeister übergeben werden. 2016 sind das Marco Blüthgen und Daniel Simon.

Vier Plossiger Einwohner-Generationen treffen sich auf dem Hof von Familie Meißner (v.l.): Ramona und Katrin Döring (als Mutter-Tochter-Platzmeister-Paar), Lothar Meißner, seine Mutter Luise „Lieschen“ Meißner - mit 95 Jahren die älteste Einwohnerin, Harald Blüthgen und Enkelsohn Ben.
Vier Plossiger Einwohner-Generationen treffen sich auf dem Hof von Familie Meißner (v.l.): Ramona und Katrin Döring (als Mutter-Tochter-Platzmeister-Paar), Lothar Meißner, seine Mutter Luise „Lieschen“ Meißner - mit 95 Jahren die älteste Einwohnerin, Harald Blüthgen und Enkelsohn Ben.
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