1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Jessen
  6. >
  7. Schweinitzer Bockwindmühle: Schweinitzer Bockwindmühle: Zweite Chance am neuen Ort

Schweinitzer Bockwindmühle Schweinitzer Bockwindmühle: Zweite Chance am neuen Ort

Von Thomas Tominski 26.10.2017, 08:59
Die Demontage der alten Schweinitzer Bockwindmühle soll bis Ende der Woche fertig sein. In Plossig wird sie restauriert und aufgebaut.
Die Demontage der alten Schweinitzer Bockwindmühle soll bis Ende der Woche fertig sein. In Plossig wird sie restauriert und aufgebaut. Thomas Tominski

Schweinitz - Günter Gottwald steht auf seinem ehemaligen Grundstück und schaut betrübt in Richtung Bockwindmühle. „Es wird ein Stück Leben von mir mit abgebaut“, sagt er und erzählt, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit Mutter und Bruder bei den freundlichen Müllersleuten ein zu Hause gefunden hat.

„Das lachende Auge kommt erst nach dem Wiederaufbau in Plossig“, fügt Gottwald an. Der Geschäftsmann aus Schweinitz kennt praktisch jeden Zapfen der um 1770 erbauten Mühle und erklärt wie ein Fachmann die Funktion des Kammrades. „Die Zähne sind im Übrigen aus Akazienholz“, sagt er und klopft mit dem Finger zur Veranschaulichung drauf.

Der frühere Besitzer erinnert sich gut daran, dass ihm seine Frau nach der Wende „mal die Leviten gelesen“ hat. „Ich habe das Dach für 5.000 Mark decken lassen“, nennt er den Grund des ehelichen Streitgesprächs. Der Schweinitzer, der das Grundstück 2016 an ein Entsorgungsunternehmen verkauft hat, dokumentiert mit seiner Kamera jeden Arbeitsschritt.

Gottwald betont, dass er begeistert sei, wie reibungslos der Abbau der Mühle funktioniert. Dass „dieses Stück Kulturgut“ in der Region verbleibt, darüber ist er glücklich.

Engagierter Verein

Zu den Glücklichen in der Runde zählt auch der Vorsitzende des Mühlen- und Dampfmaschinenvereins Plossig, Wilfried Pötzsch, der zusammen mit seinen Mitstreitern Bernd Seidel, Werner Hering und Harald Blüthgen vor Ort ist, damit die Demontage zügig über die Bühne geht.

Der Chef erzählt, dass er mit dem neuen Eigentümer des Grundstücks ausgehandelt hat, dass die stark restaurierungsbedürftige Mühle bis 31. Dezember vom Gelände komplett verschwindet. Pötzsch berichtet mit hörbarem Stolz in der Stimme, dass sein aktuelles Kampfziel „Ende der Woche“ heißt. Mit dem Umzug nach Plossig soll dort ein historischer Mühlenhof mit einer gläsernen Imkerei entstehen.

„Dort werden wir uns auch mit dem Thema Bienensterben beschäftigen. Den letzten Winter haben 170.000 Völker nicht überlebt.“ Wann genau die Mühle wieder in Betrieb geht, steht noch ein bisschen in den Sternen. Der Verein hat einen Förderantrag gestellt und hofft, für 2018 mit in das Leader-Programm der Europäischen Union aufgenommen zu werden.

„Ein Versprechen gebe ich ab. Die Mühle steht eher als der Berliner Großflughafen“, meint der Vorsitzende scherzhaft. Seine Vereinskollegen sind mit der Demontage des bereits abgesetzten Daches beschäftigt. Das gesamte Projekt wird eine sechsstellige Summe verschlingen. Davon geht das Quartett fest aus. „Wir werden auch mit dem Klingelbeutel durch den Ort gehen“, schallt es aus der Männerrunde.

Besuch aus Magdeburg

Das Grundstück füllt sich langsam. Unter den Schaulustigen befinden sich unter anderem Helga und Hermann Braumann, die am Vormittag den weiten Weg aus Magdeburg auf sich genommen haben. Beide gehören dem Mühlenkreis von Sachsen-Anhalt an.

„Mein Mann stammt aus einer Müllerfamilie“, erzählt Helga Braumann, die den Abbau des hölzernen Bauwerks sehr spannend findet. Den Grundstein zur Reise hat jedoch Wilfried Pötzsch gelegt. „Sein Vortrag zur Verlegung der Mühle nach Plossig hat uns fasziniert“, berichtet das Ehepaar, das im Prinzip „auf gut Glück“ nach Schweinitz gefahren ist. „Wir wussten nur, dass es in dieser Woche passieren soll. Der richtige Tag ist purer Zufall.“

Das Ehepaar verrät, dass es am Dienstag das Praktische mit dem Nützlichen verbunden hat. „Wir waren erst in Jessen und haben dort Hausschuhe gekauft.“ Den Aufbau in Plossig wollen sich die beiden Magdeburger auf keinen Fall entgehen lassen. Hermann Braumann holt die Kamera aus der Tasche, benutzt die Schulter seiner Frau als Stativ und hält jeden Moment fest.

„Schade“, sagt er, „die Sonne kommt genau im falschen Moment.“ Dann wechselt er in Windeseile den Standpunkt. Das Herausheben des Kammrades ist Millimeterarbeit. Der Kranführer befolgt die Anweisungen der Mitarbeiter der Firma Blümner (Bismark/Altmark), die Seile fangen langsam an, sich zu spannen.

Nach etwa 20 Minuten plus viel Nervenanspannung ist es geschafft: Das Kammrad samt Flügelwelle schwebt in der Luft und wird kurz danach auf Montageböcken abgesetzt.

Schule stellt Filmteam

Mit vor Ort ist auch ein Filmteam der Jessener Sekundarschule Nord. „Unsere Arbeitsgemeinschaft heißt Film- und Medienprojekt“, sagen Lilly Unruh und Nico Kühnast, die beim Dreh ganz locker sind. Die Schülerin aus der 8b nutzt sogar die Möglichkeit, mit einem Demontagearbeiter in die Luft zu gehen.

Auf einer etwa 20 Meter hohen Arbeitsbühne hat sie ideale Drehbedingungen. „Ich finde es sehr interessant, in das Innenleben einer Mühle zu blicken. Die Technik ist ein paar Hundert Jahre alt. Außerdem ist der Aufbau klasse. Die Leute waren richtig pfiffig“, so Lilly Unruh, der es nichts ausgemacht hat, hoch über der Erde zu schweben.

Kühnast findet die Dreharbeiten spannend. „Wichtig ist, dass die Mühle wieder aufgebaut wird. Trotz ihres Alters ist sie noch ganz gut in Schuss.“ Zusammen mit Unruh hofft er, dass beide in Plossig wieder den Zuschlag erhalten. „Wird der Direktor bestimmt einrichten“, ist Pötzsch überzeugt, der sich wie erwähnt über die Rettung des kulturhistorischen Denkmals sehr freut.

Trotz des saloppen Spruchs, dass der Mühlenhof vor dem Berliner Großflughafen fertig ist, verfolgt der Vereinsvorsitzende mit seinen Mitstreitern selbstverständlich einen konkreten Plan. Nach (hoffentlich) erfolgreicher Aufnahme in die Leader-Projekte 2018 soll der denkmalgerechte Aufbau der Mühle bis Ende 2019 fertig sein.

In drei weiteren Abschnitten erfolgen die Sanierung der Technik, der Innenausbau und die Montage der Flügel. Zwei Jahre später sollen die Sektkorken knallen. Laut Pötzsch soll ein Erlebnishof entstehen. Der Weg vom Korn zum Brot soll den Besuchern anschaulich demonstriert werden. Sofort nach erfolgter Demontage gehen die einzelnen Teile von Schweinitz aus auf Reisen.

„Wir verladen alles auf einen Lastkraftwagen mit Hänger“, sagt der Vorsitzende und verrät, dass sein Verein bei der Bewältigung des Projektes auf die Unterstützung von Sponsoren angewiesen ist. „Man muss vor allem Gespräche mit den richtigen Leuten führen“, klinkt sich Günter Gottwald ein, dem beim Zusehen langsam ein Lächeln über das Gesicht huscht. (mz)

Geschafft! Kammrad und Flügelwelle schweben galant durch die Luft.
Geschafft! Kammrad und Flügelwelle schweben galant durch die Luft.
Tominski
Helga und Hermann Braumann sind aus Magdeburg angereist.
Helga und Hermann Braumann sind aus Magdeburg angereist.
Tominski