Schausteller Schausteller: Geschäft des Jahres in der Weihnachtszeit

Jessen/MZ - „Vom Grundsatz her ist das so: Ein Drittel des Jahresumsatzes erlangen wir Schausteller inzwischen durch das Weihnachtsgeschäft. Und das ist bei 80 Prozent meiner Kollegen so.“ Damit bestätigt der Jessener Schausteller Reno Sperlich Aussagen seines halleschen Kollegen Werner Meyer, der Vorsitzender des Schaustellerverbandes im Lande ist. Wie zum Beweis baute Reno Sperlich am Mittwoch mit seinem Team gerade seine Geschäfte auf dem Wittenberger Weihnachtsmarkt auf, als die MZ ihn telefonisch erreichte.
Es gibt Unterschiede
Allerdings räumt er auch ein, „dass die Situation von Schausteller zu Schausteller unterschiedlich ist“. Es gibt einige seiner Kollegen, die recht gut verdienen, andere würden am Existenzminimum knabbern. Demjenigen, der in den vergangenen Jahren in ein supermodernes Fahrgeschäft investieren konnte, dem stehen zwangsläufig auch „die großen Knallerplätze“ offen, wie der Jessener formuliert. Andere, die noch traditionelle, ältere Geschäfte besitzen, sind fast nur noch auf den kleineren Festen gefragt, die jedoch wiederum auch für sie eine wichtige Basis der wirtschaftlichen Existenz seien.
Dennoch befürchtet auch Reno Sperlich so wie der Chef seines Verbandes, dass die sinkende Zahl der Volksfeste insgesamt im Zusammenhang mit den schier unaufhörlich steigenden Aufwendungen für Elektroenergie und Treibstoff einigen Kollegen in seiner Branche geschäftlich den Garaus bereiten. Zu den genannten Aspekten kommen weitere, die den Betreibern der Geschäfte, die ihren Gästen eigentlich Spaß und manchen Kick in der Magengegend bereiten sollen, die Laune verderben.
Oft neue Anforderungen
„Es tobt ein großer Verdrängungswettbewerb“, schildert Sperlich die Situation und nennt Gründe dafür, dass der Staat aus seiner Sicht nicht ganz unbeteiligt daran ist: „Die Sicherheit geht natürlich vor. Es gibt den TÜV, es gibt Ausführungsgenehmigungen, Bauabnahmen. Fahrgeschäfte, die älter als zwölf Jahre sind, müssen durch eine Sonderüberprüfung - kurzum, wir leben in einem Staat mit einem der höchsten Sicherheitsstandards weltweit. Und trotzdem lässt sich der Gesetzgeber immer noch Neues einfallen. Jetzt gibt es schon wieder die nächsten Direktiven mit neuen Anforderungen, die selbst an den modernen Geräten viele Umbauten notwendig machen.“ Der Jessener Unternehmer befürchtet aufgrund dessen, „dass hier viele Sachen wegbrechen“. Und damit meint er nicht nur Angebote seiner Kollegen an die Besucher von Festen, sondern auch, dass Schausteller ganz und gar aufgäben. Einige würden immer öfter Gedanken hegen, ihre Betriebe zu schließen und/oder „die Fahrgeschäfte ins Ausland zu verkaufen, wo die Anforderungen nicht ständig angezogen werden“, wie er aus seiner Erfahrung und den zahlreichen Kontakten auf den Festplätzen weiß. Sperlich, der nicht nur Mitglied im Jessener Schul- und Heimatfestverein, sondern hier auch seit mit der Aufgabe als Platzmeister betraut ist, weiß ebenso gut, dass immer seltener Schaustellervereine mit der Organisation und „Bestückung“ von Festplätzen betraut sind. Das erledigen die örtlichen Veranstaltervereine zunehmend selbst, erläutert er. Von daher hat auch in Jessen der anfangs der 90er Jahre gegründete Schaustellerverein seine Grundlage weitgehend verloren. Über ihn hatte das heimische „fahrende Volk“ etliche Jahre lang die Organisation des Jessener und anderer regionaler Festplätze übernommen.
Oft mehrere Geschäfte
Wenn seine Kollegen nicht gleichzeitig mehrere Geschäfte betreiben würden - meist nicht nur Karussells, Riesenräder oder rasante High-Tech-Geräte, sondern auch Wurf- oder Schießbuden und kulinarische Versorgungsstände - könnten sich viele gar nicht über Wasser halten, plaudert der Jessener aus dem Nähkästchen. Die wenigsten haben nur eines, bis zu fünf Geschäfte sind eher die Regel, weiß er. „Die betreiben sie natürlich nicht immer zeitgleich, sondern sind dadurch eben flexibler in der Reaktion auf die Wünsche der einzelnen Veranstalter von Festen.“
Etwa fünfzehn Schaustellerfamilien haben ihre Heimat in der Jessener Region, nennt Sperlich eine schnell geschätzte Zahl. Nachwuchssorgen haben sie allerdings nicht zu bewältigen. „Von zehn Familien sind bestimmt neun Kinder dabei, die weiter machen“, gibt der Jessener eine Durchschnittsgröße an. „Schausteller zu sein, ist nicht nur ein Beruf. Das ist eine Berufung. Und wer einmal unterwegs war, der will das nie wieder aufgeben“, nimmt Sperlich auf die Lebensphilosophie vieler im „fahrenden Volk“ Bezug. Aber: „Es liegt immer am Einzelnen, wie er sich dabei bewegt. Ein bisschen Biss braucht man in diesem Geschäft auch, um zu bestehen.“
Was die Anforderungen betrifft, da nannte auch der Landesverbandschef der Schausteller, Werner Meyer aus Halle, in der MZ Zahlen: Während sein Vater für eine Autoscooter-Anlage noch etwa 300 000 D-Mark berappen musste, liege heute der Anschaffungspreis bei weit über einer Million Euro. Die Weihnachtsmärkte landauf, landab sind zumeist die letzte Möglichkeit für die Betriebe, sich über Wasser zu halten, bis im Frühjahr die Saison wieder startet. Denn solch hohe Aufwändungen müssen in der Regel über Kredite aufgebracht werden, und die laufen weiter, auch wenn das Geschäft Winterpause macht. Da muss schon ordentlich gerechnet werden.

