Stadtrat Mit Gegenwind zur Windkraft in Jessen
Nach kontroverser Diskussion wird Jessen nun die Erweiterung des Windvorranggebietes bei Linda beantragen. Meinung der Einwohnerschaft ist geteilt.

Linda/Jessen/MZ - Gerade in der hitzigsten Diskussion der Jessener Stadtratssitzung am Dienstagabend machte es laut „Rumms“. Eine hölzerne Sichtblende unter einem der Abgeordnetentische ist zu Boden gekracht. Über die Tische hinweg ging es um erneuerbare Energien. Und zwar um einen Beschlussentwurf der Verwaltung bezüglich des Windparkes auf dem Gebiet des Ortsteiles Linda. Für dieses Areal hegt die Engie Deutschland GmbH mit Sitz in Köln den Wunsch auf Erweiterung im Zuge des Repowering. Das heißt, des Ersatzes alter Anlagen durch leistungsstärkere. Wobei in aller Regel sich die Anzahl der Anlagen verringern solle.
Diskutiert seit zwei Jahren
Mit übergroßer Mehrheit hat der Stadtrat den Entwurf der Verwaltung bestätigt und damit zum Beschluss erhoben. Konkret ging es darum, ob die Stadt bei der Regionalen Planungsgemeinschaft Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg, die in Köthen sitzt, die Erweiterung des bestehenden Windenergiegebietes bei Linda beantragen solle oder nicht. Seit zwei Jahren werde diese Diskussion bereits geführt, erinnerte Bürgermeister Michael Jahn (SPD) in seiner Beschlussbegründung. Dazu startete er mit einem Überblick über das bisherige Geschehen.
Die Stadt Jessen sei erstmals 2001 mit dem Thema beschäftigt worden. Damals ging es um einen Vertrag zur Flächennutzung im Ortsgebiet Gentha/Ruhlsdorf mit der Firma WSB. Dort steht inzwischen einer der größten Windparks in der Region. Und bereits im Jahr darauf, 2002, hatte der Stadtrat Jessen einen „Beschluss gegen die Errichtung von Windkraftanlagen“ gefasst, um weiteres zu verhindern. Der wurde übrigens im Zuge des jetzigen Beschlusses aufgehoben. Jahn ging dann noch auf die weiteren Stufen dieser Entwicklung ein.
Der Bürgermeister machte deutlich, dass angesichts des Klimawandels, des beschlossenen Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Ressourcen und der aktuellen Zuspitzung aufgrund des Krieges in der Ukraine am Ausbau regenerativer Energien kein Weg vorbeigeht. Dazu kommt, dass die Bundesregierung ihren Druck auf die Länder hinsichtlich des Ausbaus verstärkt. Wie berichtet, solle Sachsen-Anhalt den Anteil der Landesfläche für Windenergie binnen zehn Jahren von derzeit 1,1 auf dann 2,2 Prozent erhöhen. Dazu komme, dass sich die Stadt und der Ortsteil beim jetzigen Handeln noch Chancen ausrechnen könnten, wie die Verträge am Ende konkret aussehen. Und damit auch, was unterm Strich finanziell für die Kommune herauskommen könnte. Zum Beispiel meinte der Bürgermeister, man könne verlangen, dass die Betiebssitze der Betreiberfirmen in der Stadt liegen, um auch den Gewerbesteueranteil einnehmen zu können. Gesetzlich verankert sei bereits, dass die Städte einen Anteil von 0,2 Cent je gewonnener Kilowattstunde erhalten.
Einwand abgelehnt
Auf den Einwand von Patrick Siegel (CDU/FDP-Fraktion), der Bauausschuss habe doch angeregt, den Ortsteilbeirat einzuladen (siehe auch „Bürgerbefragung im Juni 2021“), meinte Jahn, die Bürgerbefragung sei zur Kenntnis zu nehmen, aber der Stadtrat habe sich eingedenk aller Nuancen innerhalb des bereits seit zwei Jahren laufenden Verfahrens eine Meinung zu bilden. Patrick Siegel erklärte dazu, dass ihm die Folgen für die Lindaer „noch viel zu schwammig“ seien. Tino Baumgart (Wir.Für.Hier) meinte, für seine Fraktion habe Priorität, „dass sich die Bürger von Linda damit identifizieren können“.
Immer dann, wenn die persönlichen Befindlichkeiten von Einwohnern betroffen sind, „ist es eine schwere Entscheidung“, bekannte Gabriele Wolf (BBP/BI Jessen). Bürger müssen auch von ihrem Recht Gebrauch machen können, gehört zu werden. Sie machte etliche Kommunikationslücken im Gang des Verfahrens aus - innerhalb der Fraktionen, zwischen Bauausschuss und Hauptausschuss, zwischen Ortsteilbeirat und dem Stadtrat. „Die Akzeptanz von Hochspannungsanlagen, Fotovoltaik, Windkraft usw. ist in jüngster Zeit dann stark gewachsen, wenn die Bürger beteiligt wurden“, so Klaus-Dieter Richter (CDU/FDP). „Das war in Linda gegeben.“
Frank Luczak (AfD) verwies auf die Bürgerbefragung. „Ein großer Teil der Lindaer war dagegen.“ Er beantragte eine namentliche Abstimmung. „Wer heute hier dafür stimmt, das sagt sehr viel über den Charakter aus.“ Damit zog er sich einen Rüffel vom Stadtratsvorsitzenden Gunter Danneberg zu. Namentliche Abstimmung wurde abgelehnt.