Max-Lingner-Schule Max-Lingner-Schule: Der Schulweg wird gefilmt

Jessen - Malina Lemke (Klasse 3c) und Lia-Sophie Logos (3a) sind zwei sehr aufgeschlossene Mädchen. Und so hatten die Max-Lingner-Grundschülerinnen auch überhaupt kein Problem damit, für eine Dokumentation des niederländischen Fernsehens eine historische Schulweg-Szene nachzustellen. Im Gegenteil, die beiden Achtjährigen zeigten sich höchst kreativ und steuerten sogar eigene ausschmückende Ideen zu dem fast zweistündigen Dreh im Jessener Eichenhain bei. Was ihnen immer wieder lobende Worte vom Team des Senders VPRO einbrachte.
Kreative Umsetzung
Die Sequenz, in der Lia-Sophie und Malina mit ihren Schulranzen auf den Rücken - in verschiedenen Einstellungen - einen Waldweg entlang schlendern, dabei ein Lied trällern, mal eine Abkürzung nehmen oder eine Pause zum Spielen einlegen, dient der Bebilderung des Flüchtlingsschicksals einer Frau, die 1945 Ostpreußen verlassen musste und auf ihrem weiteren Lebensweg als Kind auch Station in Jessen machte. Es handelt sich um Rita Lemke, Jahrgang 1940. Sie ist die Mutter von Britta Hosman, der holländischen Regisseurin des mehrteiligen Films, dessen Ausstrahlung voraussichtlich Ende 2015 im niederländischen Fernsehen (Nederland 3) startet.
VPRO ist ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk in den Niederlanden. Die Gesellschaft hat ihren Sitz in Hilversum. VPRO wurde 1926 als religiöser Radiosender der niederländischen Freisinnigen gegründet. 1968 ließ man von dem religiösen Bekenntnis los. Seither entwickelte sich VPRO laut Wikipedia zum innovativsten und alternativsten Sender im nationalen niederländischen Radio und Fernsehen. Vom Anspruch her ist das Programm ähnlich wie ARTE, oft jedoch skurriler.
Rita Lemke, deren Flucht vor den Russen von einem Gut bei Königsberg über Pillau und per Schiff nach Gdingen und weiter nach Lübeck führte, kam als Fünfjährige mit einem Zug von dort nach Jessen und lebte auch eine Weile in Gerbisbach. Von Gerbisbach ging sie mit ihrer Freundin jeden Wochentag etwa eine halbe Stunde zur Schule in die nahe Stadt an der Schwarzen Elster. Genau diese Begebenheit wird in dem Streifen von Lia-Sophie und Malina bebildert. Dafür mussten sie nicht in Kleider schlüpfen, die 1945 üblich waren. Denn die VPRO-Dokumentation spielt nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart.
„Geschichte meiner Mutter bildet den Rahmen“
„Die Geschichte meiner Mutter bildet den Rahmen“, sagt Britta Hosman der MZ. „Sie liefert den Anlass.“ Es gehe aber ebenfalls um Begegnungen mit Menschen von heute an einzelnen Stationen der damaligen Flucht. „Erzählt wird, was war, und wie es in der jetzigen Zeit an den betreffenden Orten aussieht, was aus den Akteuren von einst geworden ist. Die Freundin meiner Mutter lebt auch noch in Jessen. Wir wollen zeigen, welchen Einfluss die Geschichte auf die Gegenwart hat.“
Ihre Mutter ist später übrigens nach Mühlheim an der Ruhr weitergezogen. Sie studierte in München und lernte dort einen Holländer kennen. Tochter Britta Hosman kam schon in Utrecht zur Welt.
Sie schwärmt regelrecht von der Filmtauglichkeit Deutschlands: „Jede Familie hier hat eine Geschichte zu erzählen.“ Ob es zum Zweiten Weltkrieg sei, zur Vertreibung oder zum Leben in der DDR.
Jessen im dritten Teil
Die Dokumentation soll, wenn sie fertig ist, sechs Teile haben. Die Begebenheiten im Jessener Raum gehören zum dritten Teil. „Es werden viele interessante Einzelgeschichten erzählt, die ineinandergreifen“, fasst die Regisseurin zusammen. „Dargestellt wird beispielsweise auch, wie die vielen Flüchtlinge in den kleinen Orten in Deutschland aufgenommen wurden, wie die Dörfer damit zurecht kommen mussten.“ Die Dreharbeiten haben im Sommer begonnen.
Für Dezember sind Aufnahmen in Königsberg (heute Kaliningrad in Russland) vorgesehen. „Wir suchen dafür noch nach den polnischen Arbeiterfamilien, die auf dem Gut, von dem meine Familie stammt, tätig waren“, erklärt Britta Hosman. Bevor es nach Jessen kam, machte das Filmteam Station in Freyburg an der Unstrut. Dort hat Rita Lemke ebenfalls eine Freundin, die sogar mit der Rotkäppchen-Sekt-Dynastie verbandelt ist.
Die „Jungschauspielerinnen“ Malina Lemke und Lia-Sophie Logos wurden von der Lingner-Schulleitung für die Aufnahmen in Jessen vorgeschlagen, nachdem das VPRO-TV schriftlich um Unterstützung gebeten hatte. Die Filmemacher suchten zwei Mädchen von sieben oder acht Jahren, „wenn es geht mit Zöpfen“. Die Entscheidung für die beiden stellte sich als ausgezeichnete Wahl heraus. (mz)

