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Landkreis Wittenberg Landkreis Wittenberg: «Titanic» von Steinsdorf kollidiert mit keinem Eisberg

Von H.-DIETER KUNZE 01.08.2010, 15:20

STEINSDORF/MZ. - Neugierig lugten die Besucher immer wieder aus dem Zelt, bis endlich ein Tieflader - na gut, ein Pkw mit einem etwas größerem Anhänger - über die Dorfstraße gerollt kam. Darauf stand eine nicht alltägliche Bootskonstruktion, so eine Mischung aus Floß und Arche Noah, mit einem handelsüblichen Spielhäuschen drauf. Allerdings nur geeignet für ein Sammelsurium von Kleintieren.

Auf Kiel gelegt wurde das Schiff in der Steinsdorfer Werft von Roland Schülzke. Sein Sohn David half tüchtig mit. "War halt mal so 'ne Idee von uns, hat aber großen Spaß gemacht", meinte der Konstrukteur lachend. Mit vereinten Kräften wurde das Gefährt zu Wasser getragen. Jemand rief aufgeregt: "Schnell, fotografiert das Ding, ehe es sinkt." Warum musste es Kathleen Döring mit einer kleinen Pulle Rotkäppchen-Sekt auch ausgerechnet auf den Namen "Titanic" taufen. Aber Pustekuchen, das Schiff überstand die Jungfernfahrt über den Teich und zurück völlig unbeschadet. Na gut, die See war sehr ruhig und ein Eisberg schon gar nicht in Sicht. Unter dem Beifall der Zuschauer zog man die Steinsdorfer "Titanic" schließlich wieder an Land.

Denn es wurde ernst, wie in jedem Jahr. Zinkbadewannen sind bekanntlich äußerst tückisch. Kein Heimatfest in Steinsdorf gab es bisher, bei dem die schlingernden "Boote" nicht kenterten. Der Auftakt war vielsprechend, eine Wanne ging schon beim Einsitzen auf Grund, eine weitere sank in Teichmitte und konnte nur mit vereintem Einsatz von Tauchern geborgen werden. Aber die nächsten Besatzungen hatten den Bogen raus, obwohl die Wannen oft bedrohlich schwankten. Zum gegenüberliegenden Ufer mit den Armen paddeln, das ging noch. Aber zurück mit nur einem Paddel, das war tückisch. Die Steinsdorfer Wettkampfregeln sind streng.

Acht männliche "Wannenkapitäne" gingen an den Start. Jan Bitterkleid war mit 2:15 Minuten der Schnellste, gefolgt von Tobias Kopp (2:29) und Johannes Döring (2:54). Flüssiges von Sekt bis Bier gab es als Belohnung. Aber warum fanden sich keine beherzten Frauen für die Überfahrt? Das Anfeuern durchs Publikum half, Schiffstäuferin Kathleen Döring fasste sich zuerst ein Herz. Aber gegen wen sollte sie antreten? Es war schließlich Ute Grundmann. Sie rannte schnell nach Hause, um die Heimatfestgarderobe gegen eine Seefrauen-Kluft einzutauschen und sich dann in die Wanne zu schwingen. Die zwei Frauen absolvierten ihre Fahrt mit Bravour. Durch den Hallervorden-Titel "Die Wanne ist voll", der am Ufer dudelte, ließen sie sich nicht beeindrucken. Zwar etwas nass aber glücklich genossen sie den Applaus der Gäste und nahmen ihre Präsente in Empfang, während die Wannen wieder zu ihren Besitzern zurückgetragen wurden.

Einer davon ist Hartmut Andrä. "Die Wanne ist so etwa 70 Jahre alt. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg hatten sie meine Eltern noch ergattert, dann gab es keine mehr", erzählt er. Schmunzelnd kann er sich daran erinnern, dass er als Kind öfter darin gebadet wurde. Im Sommer stand die gefüllte Wanne auf dem Hof, mit Sonnenenergie wurde das Wasser erhitzt. Im Winter dagegen musste der Kessel in der Waschküche angefeuert werden. Edles Duschbad im Zinkbehältnis? Irrtum, mit Kernseife wusch man sich damals. Aber alles kommt irgendwann mal wieder. Sowohl die Kernseife für empfindliche Hauttypen als auch die Nutzung von Sonnenenergie. Warum heute so viel Wind um Solaranlagen gemacht wird. Darüber können Hartmut Andrä und andere Steinsdorfer nur den Kopf schütteln. Sie haben das schon im Kindesalter erlebt.