Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Später Sinneswandel bei Militärpfarrer
Holzdorf/Kabul/MZ. - Seit 2010 ist er Militärseelsorger am Standort Holzdorf. Das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel beging er mit der Truppe am Hindukusch. Um diese Erfahrung kam Friedrich von Kymmel nicht umhin. Zwei Jahre Schonzeit gewährte ihm die Bundeswehr. Danach hieß es Kofferpacken. Abschiednehmen von seiner Frau Elke und den drei Kindern Karl, Klara und Clemens, die er fünf Monate nicht sieht. Ohne sie hat er Weihnachten gefeiert, das neue Jahr begrüßt. Ohne sie, aber inmitten Hunderter Soldaten, die gemäß eines Mandats der Bundesregierung in Kabul ihren Dienst versehen.
Kreuz auf dem Schulterstück
Von Kymmel, der nie an der Waffe diente, den die Werber der NVA über Jahre schikanierten, dessen Brüder Bausoldaten waren und der sich schon als junger Pfarrer für "Spatensoldaten" stark machte, trägt nun eine tarnfleckige Uniform. Statt Sternchen und Balken ziert ein Kreuz seine Schulterstücke und die Aufschrift Domini Sumus, ein Bibelspruch aus dem Römerbrief (Kapitel 14, Vers 7-9), der zu deutsch "Wir sind des Herrn" bedeutet.
Von Kymmel ist gern Pfarrer. Die Arbeit mit Menschen, die Gespräche mit ihnen geben ihm Kraft, geistig wie körperlich, sagt er. Dennoch war dieser Beruf anfänglich nicht seine erste Wahl. Stattdessen wurde er auf eigenen Wunsch Elektromonteur. Erst der frühe Tod des Vaters setzte bei ihm einen Denkprozess in Gang, der ihn doch auf die kirchliche Laufbahn brachte, und ihn als jungen Pfarrer nach Usedom führte.
Gebürtiger Berliner
Hier, wo das Meer sich von seiner schönsten Seite zeigt, war die junge Familie von Kymmel endlich angekommen, fühlte sich aufgehoben. "Usedom ist bis heute mein Zuhause", bekennt der gebürtige Berliner. Von Kymmel stürzt sich in die Arbeit. In jeder Phase seines Lebens will er seinem Job gerecht werden, den Menschen dienen, zu ihrem Seelenheil beitragen. Doch die Personalnot der Kirche zwingt ihn, einen immer größeren Bereich zu bewältigen. Unbesetzte Stellen werden aktiven Pfarrern zugeteilt. Immer mehr Menschen erwarten seine Dienste, und weitere Gebiete verlangen mehr behördlichen Aufwand. Und fordern ihren Tribut. "Ich war am Limit", blickt der 53-Jährige heute zurück. Vermissen möchte er aber keine Stunde seiner Usedomer Zeit. Das ziehen der Bremse war dennoch unumgänglich.
Einen Wechsel zum Militär hätte er früher sicher ausgeschlossen. Uniform, niemals. Zu tief sitzen bis heute die Narben, die er der Armee des Volkes zu verdanken hat. Daran änderte auch ein 2007 von einem Bundeswehroffizier und dem Militärseelsorger Bodo Winkler vor Mitarbeitern des Kirchenkreises Greifswald gehaltener Vortrag nichts. "Sie berichteten uns von der Arbeit der Militärseelsorge in Afghanistan und im Kosovo. Es hat mir sicher die Augen geöffnet und meinen Horizont erweitert. Restlos überzeugt war ich dennoch noch nicht." Sein Studienfreund und Militärpfarrer Malte Koopmann rief zwei Jahre später an und fragte nach, ob er nicht sein Nachfolger als Militärpfarrer in Holzdorf werden möchte. Von Kymmel lehnte ab. Usedom zu verlassen, stand nicht auf seinem Plan. Doch Zeiten ändern sich, Pläne auch. Silvester 2009 schrieb von Kymmel seinem Kollegen eine E-Mail und fragte nach, ob das Angebot noch immer gelte. "Anfang März 2010 habe ich die Bewerbungsunterlagen abgeschickt, im Juli zogen wir um", umreißt von Kymmel in wenigen Worten die Wandlung. Seit August desselben Jahres ist er als Militärseelsorger in Holzdorf aktiv, wohnt mit seiner Familie in Doberlug-Kirchhain. Ein Umstand, den vor allem seine Freu erfreut, deren Familie in Bad Liebenwerda lebt.
Pfarrer bei der Bundeswehr, das heißt "Bindeglied zwischen oben und unten" zu sein, sagt Friedrich von Kymmel. Er habe das Privileg, mit allen Dienstgraden auf Augenhöhe zu agieren. Dank seiner Verschwiegenheitspflicht kommen deshalb auch Nichtchristen zu ihm, bitten um Rat, wünschen seine Vermittlung im Krisenfall. Basis hierfür ist nicht nur sein Beruf, sondern auch die Arbeit als Notfallseelsorger, der sich von Kymmel seit vielen Jahren widmet.
Vertrauen als Grundlage
Derzeit gilt sein ganzes Augenmerk der seelsorgerischen Begleitung der im Einsatz befindlichen Soldaten und Polizisten. Gemeinsam mit seinem Unterstützungssoldaten Hauptfeldwebel Sebastian L. organisiert er vom Standort Kabul aus Gottesdienste, lädt zum Bibelfrühstück oder greift begleitend zur Gitarre, wenn Soldaten feiern. "Die Arbeit gibt mir die Chance, ein auf Vertrauen basierendes Konstrukt aufzubauen, dass im Konfliktfall hilfreich ist."
Inzwischen trägt von Kymmel die Uniform nicht ohne Stolz. Bonhoeffer sagte einmal, dass der Staat das Recht auf ein Gewaltmonopol habe, sofern es das friedliche Zusammenleben der Menschen regelt. Friedrich von Kymmel ist heute ein Teil davon.