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Kirche in Naundorf Kirche in Naundorf: Kein Ziehen mehr am Strick

Von Evelyn Jochade 12.08.2016, 06:25
Pfarrer Thomas Meinhof dankte Fred Henze für über 40 Jahre treuen Läutedienst.
Pfarrer Thomas Meinhof dankte Fred Henze für über 40 Jahre treuen Läutedienst. E. Jochade

Naundorf bei Seyda - Noch baumeln die langen Seile am Aufgang zum Turm der Naundorfer Kirche. Doch sie sind ihrer Funktion beraubt. Eine Ära ging hier zu Ende. 650 Jahre ist die Feldsteinkirche alt und fast so lange wurden Glocken geläutet. Manuell, also von Hand.

Die ältesten Glocken gab es der Überlieferung nach im 15. Jahrhundert vor Christus in China. Im Berliner Bode Museum sind frühe Exemplare zu sehen. Auch in den alten Glockengießerstädten Apolda und Laucha kann man in die Geschichte des Glockengießens eintauchen. Im Osten Deutschlands existieren nur noch wenige aktive Gießereien, wie die in Leipzig und in Lauchhammer. Neben Kirchen- und Schiffsglocken sowie Glocken für Uhrtürme, werden auch solche für Carillons gegossen. Das sind große Glockenspiele, auf denen Melodien intoniert werden können. Das mit 76 Glocken weltweit zweitgrößte Carillon befindet sich im Roten Turm in Halle.

Dafür war einerseits Kraft notwendig, andererseits ein gutes Gehör und die Gabe, die Glocken im richtigen Rhythmus klingen zu lassen. Generation um Generation haben sich Menschen gefunden, die diesen Dienst aus Liebe zu Gott und den Mitmenschen verrichteten. Ein Aufgabe, die verlangte, tagtäglich vor Ort zu sein.

Fred Henze, der zuletzt mehr als 40 Jahre lang für die vertrauten Töne sorgte, saß nun mit in der Kirche und hörte, was Pfarrer Thomas Meinhof sagte: „Wie ein großer Leuchtturm ist unser Kirchturm... Heimat, zu Hause sein, Feierabend - all das klingt mit beim Abendläuten. All das haben Sie mit ihrem treuen Läuten bewirkt. An die 2 000 Mal.“ Immerhin. Fred Henze hat jahrelang diese Verantwortung übernommen und selbst vor seinem Urlaub stets dafür gesorgt, dass die Naundorfer nie ohne Glockenläuten blieben.

Schon 1433 und 1496, so der Pfarrer, bekam die Kirche die ersten Glocken. „Die ältesten, von denen ich hier in unserer Gegend überhaupt weiß. Sie waren ähnlich groß, wie die heutigen... 81 und 50 Zentimeter, also eine große und eine kleine. Für die fröhlichen und für die traurigen Anlässe“. Wann sie vom Turm kamen, ist nicht überliefert, doch es müssen schwere Zeiten gewesen sein, Krieg oder Feuer, da ist sich Thomas Meinhof sicher. Die heutigen Glocken sind aus unterschiedlichem Material. Die ältere, 60 Zentimeter, wurde 1900 aus Bronze gegossen. Die andere, aus Stahl, kam in den 1950er Jahren auf den Turm. Sie ist 90 Zentimeter groß. Somit ist die Naundorfer Kirche die einzige im Umkreis, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eine zweite Glocke bekam.

Fred Henze, der die Kunst des Läutens vom alten Herrn Stock erlernte, wusste mit den Glocken umzugehen. Auch mit ihren verschiedenen Geschwindigkeiten.

Den Menschen, die zum Läutefest in der Kirche Platz genommen hatten, war bewusst: Ab sofort wird nicht mehr Fred Henze in der Kirche die Stricke ziehen. Es geht nun modern zu, elektrisch. Dazu sind im Turm zwei Kästen angebracht worden und im Kircheneingang einer mit diversen kleinen Schaltern. An einem steht „Automatik“.

Dahinter verbergen sich nicht nur Drähte und Relais. Dahinter steht auch eine Geschichte, denn schon einige Zeit wollten die Naundorfer ein solches Läutwerk und haben dafür fleißig gesammelt. Ein langwieriger Prozess. Doch, wer glaubt, sagte in der kleinen Andacht Pfarrer Meinhof, ist nicht allein. In diesem Falle waren es die Windkraftanlagenbauer der Firma Vortex, die in Gadegast arbeiten. Sie überreichten der Gemeinde einen Scheck über 5 000 Euro. Und so wird in Naundorf nun sehr komfortabel elektrisch geläutet.

(mz)

Nach rund 600 Jahren ging in der Kirche von Naundorf bei Seyda die Ära des Läutens von Hand zu Ende.
Nach rund 600 Jahren ging in der Kirche von Naundorf bei Seyda die Ära des Läutens von Hand zu Ende.
E. Jochade