1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Jessen
  6. >
  7. Karl Lamprecht und der Kaiser

Karl Lamprecht und der Kaiser

Von ROLF SCHUMANN 25.02.2009, 17:17

JESSEN/MZ. - Geburtstag im Jahre 2006, immer mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit dieser Stadt getreten.

Zwar hat der berühmte Historiker nur seine Kindheit in Jessen verbracht, diesem Lebensabschnitt aber mit seinen "Kindheitserinnerungen" ein bleibendes Denkmal gesetzt. Nach dem Schulbesuch in Wittenberg und Schulpforta, dem Studium in Göttingen und wissenschaftlicher Tätigkeit im Rheinland fand er 1890 in Leipzig als Professor für Geschichte für ein Vierteljahrhundert seine bleibende Wirkungsstätte.

Seit der erwähnten Feier gibt es im alten Jessener Rathaus am Markt das Lamprecht-Zimmer. Die Leiterin, Ines Mann, hat mit viel Engagement Bilder von Karl Lamprecht und seiner Familie sowie Ausgaben seiner Veröffentlichungen zusammengetragen. Neben einigen Büchern über den Historiker und den vollständigen Bänden seiner "Deutschen Geschichte" befinden sich hier auch mehrere kleinere Schriften sowie verschiedene Exemplare seiner "Kindheitserinnerungen". Inmitten der kleineren Schriften fand ein Buch mit dem Titel "Der Kaiser", erschienen 1913, mein besonderes Interesse. Obwohl das Buch unter den Historikern als unbedeutend gilt, war ich doch neugierig, in welchem Licht Lamprecht den damaligen Kaiser Wilhelm II. (geboren 1859, Kaiser seit 1888, gestorben 1941) gesehen hat.

Für ihn war der Kaiser ein Zeitgenosse, und seine Schrift über ihn ist somit ein Beitrag zur Zeitgeschichte. Lamprecht scheint die Veröffentlichung des Buches sehr am Herzen gelegen zu haben, denn er schreibt: "Die Beschäftigung mit der Geschichte der jüngsten deutschen Vergangenheit hat mir schon früher die Pflicht eines literarischen Bildnisses des regierenden Kaisers auferlegt." Lamprecht hatte schon im zweiten Ergänzungsband seiner "Deutschen Geschichte" eine Charakteristik des Kaisers vorgestellt, die er neu bearbeitet, erweitert und anlässlich des 25-jährigen Regierungsjubiläums veröffentlicht hat.

Ein Grund für die Veröffentlichung war, dass "die Persönlichkeit des Kaisers nicht eben leicht verständlich und jedenfalls in weiten Bereichen der Nation nicht so bekannt ist, wie dies . zu wünschen wäre." Heute sorgen die Massenmedien dafür, dass die wichtigsten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur in der Öffentlichkeit weitgehend bekannt sind. Es ist keine Biographie des Kaisers entstanden, wie man vielleicht erwarten könnte, sondern eher eine Porträtskizze, denn Lamprecht standen keine amtlichen und privaten Dokumente zur Verfügung. Er konnte nur die in der Presse veröffentlichten Reden des Herrschers auswerten. Das Bild, das Lamprecht hier von "seinem Kaiser" zeichnet, entspricht den Vorstellungen und Ansichten seiner Zeit.

Der Kaiser spielte eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Leben in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Nur seine Meinung galt etwas. Es gelang ihm, den Reichskanzler zum Beispiel in Fragen der Außenpolitik an den Rand des Geschehens zu drängen. Die ganze Darstellung des Kaisers ist getragen von einer gewissen Verehrung für dessen Persönlichkeit. Lamprecht leitet die Gedankenwelt und das Wirken des Kaisers aus der Geschichte Preußens und des Hauses Hohenzollern her, deshalb beginnt das Buch mit einem historischen Überblick über die Entstehung des preußischen und deutschen Staates und über die Entwicklung des Nationalbewusstseins.

Großen Raum nimmt die Darstellung der Religiosität des Kaisers ein, wobei für Lamprecht selbstverständlich war, dass der Kaiser sich selbst als Herrscher von "Gottes Gnaden" sah und sich Gott mehr verantwortlich fühlte als seinem Volk.

Bei allem Verständnis für die Gedanken des Kaisers und bei allem Lob, das Lamprecht dem Kaiser reichlich spendet, schwingt mitunter auch eine gewisse Kritik mit. So geht er auf verschiedene Reden ein und meint, der Kaiser "berauscht sich an seinen Worten". Wenn man die Teile aus kaiserlichen Reden liest, die Lamprecht wörtlich zitiert, muss man ihm dabei zustimmen; für einen Menschen unserer Zeit erscheinen sie als großsprecherisch, prahlerisch und arrogant. Ein Zitat aus einer Rede von 1905 sollte die Friedensliebe des Kaisers dokumentieren: "Das Weltreich, das ich mir geträumt habe, soll darin bestehen, dass vor allen Dingen das neu erschaffene Deutsche Reich von allen Seiten das absoluteste Vertrauen als eines ruhigen, ehrlichen, friedlichen Nachbarn genießen soll, und dass, wenn man dereinst von einem deutschen Weltreich oder einer Hohenzollernweltherrschaft in der Geschichte reden sollte, sie nicht auf Eroberungen begründet sein soll durch das Schwert, sondern durch gegenseitiges Vertrauen der nach gleichen Zielen strebenden Nationen..." (Seite 107).

Die Darstellung Lamprechts lässt den Kaiser als eine "reiche und starke Persönlichkeit" erscheinen. Dass das Bild, das Lamprecht von "seinem Kaiser" gezeichnet hat, nicht mit der Realität übereinstimmte, wurde im Verlauf des Ersten Weltkrieges klar. Darf man ihm das zum Vorwurf machen? Er war schließlich Historiker und kein Hellseher.