Jessener vor Gericht Jessener vor Gericht: Lebensweisheiten und Gefängnisaufenthalt
Dessau/Jessen - Staatsanwalt Jörg Blasczyk kannte den brandaktuellen Stand an Vorstrafen, den selbst die 4. Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau nicht parat hatte. Stattliche 16 Einträge standen im Bundeszentralregister des Mannes aus Jessen. Und die Liste könnte sogar noch Zuwachs erhalten. Blasczyk berichtete von einer neuen Anklage, die er sich frisch aus dem System gezogen habe.
Zurückgenommen
Nun war es so, dass die Berufungsinstanz unter dem Vorsitz von Thomas Knief diese Information nicht berücksichtigen konnte. Da noch keine Verhandlung gegen den 30-Jährigen stattfand, gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Möglicherweise wird dieses Verfahren aber auch eingestellt.
Denn am Mittwochnachmittag entschloss sich der von Angela Schröder-Scherrle verteidigte Jessener nach einigem Hin und Her zur Rücknahme der Berufung. Mit der Entscheidung steht fest, dass er für ein halbes Jahr ins Gefängnis muss.
Zu der Haft hatte ihn das Wittenberger Amtsgericht wegen des Erschleichens von Leistungen - in drei Fällen nutzte er ohne Ticket einen Zug -, versuchter Nötigung, Sachbeschädigung - in einem Wutanfall zertrat er bei der Mutter seiner Partnerin einen Schuhschrank und die Wohnungstür - sowie Beleidigung am 8. Oktober vorigen Jahres verurteilt.
Der Angeklagte ist Vater eines Sohnes (2,5 Jahre) und einer Tochter (neun Monate). Gerade für die Kinder, schätzte der Vorsitzende ein, sei es eventuell besser, wenn sich der 30-Jährige durch den Strafvollzug stabilisiere. Diese Zeit sollte auch seine langjährige Beziehung überdauern. Zuvor hatte Knief eindringlich gesagt, dass es mit der angestrebten Bewährung „sehr schlecht“ aussehe.
„In der Vergangenheit sind Bewährungen mit dem Füllhorn über Sie ausgeschüttet worden. Aber eine Bewährung ist die Ausnahme. Die gibt es nicht auf Zuruf und so wie man es gerne hätte. Hier sind kein Ponyhof und kein Wunschkonzert“, formulierte er.
Der Angeklagte, so der Richter weiter, sollte sich „an den Gedanken gewöhnen, dass man nicht dauernd Straftaten begehen kann“. Alle früheren strafrechtlichen Sanktionen seien dem Mann doch „relativ wurscht“ gewesen. Auch sei das Leben für jeden dauernd anstrengend.
Da helfe es in den seltensten Fällen, sich die Sorgen wegzutrinken. Der Jessener hatte zugegeben, dass er vor der Sachbeschädigung und den beleidigenden Worten, die sich gegen die herbeigerufenen Polizisten richteten, „bestimmt zehn Bier“ konsumiert habe.
Weise Entscheidung
Staatsanwalt Blasczyk wunderte sich ebenfalls über die Justiz, die großzügig Milde walten ließ. Die zurückliegenden Urteile bezeichnete er als „strotzend vor Fürsorge und Wohlwollen“. Aber der Angeklagte habe die ihm zur Last gelegten Taten im Oktober und November 2019 zu einem Zeitpunkt begangen, an dem er dreifach unter Bewährung stand.
Der Entschluss, das Urteil anzunehmen und keine Berufung durchzuführen, war möglicherweise auch deshalb weise, weil der Vorsitzende andeutete, dass man darüber nachdenken könnte, den Jessener mittelfristig in eine Entzugsanstalt oder in die Psychiatrie einzuweisen, wenn es heiße, bei Frust greife er immer wieder zur Flasche und werde ausfällig. „Sie sollten merken: Dauerndes Saufen hilft nicht mehr wirklich.“ (mz)