Gemeinschaft in Gerbisbach Gemeinschaft in Gerbisbach: Rauchzeichen überm Ort

Gerbisbach/MZ - Wenn ein „Oskar“ für ländliche Kleinkunst verliehen würde: Der Gerbisbacher Heimatverein wäre ein preisverdächtiger Anwärter. Jahr um Jahr inszenieren die 14 Mitglieder um Steffen Löwe ein herzerfrischendes Theaterstück und eröffnen damit das Dorffest. Weil es kurz nach der Urlaubszeit stattfindet, bleibt nie viel Zeit zum Einstudieren. Dieses Manko trübt jedoch keineswegs den Erfolg, wie vergangenen Freitag zu erleben war.
„Der wilde Westen fängt gleich hinter Jessen an“ – so schallt es zum Dorffest über die Weiden von „Gerbis-City“. Bekanntlich haben dessen Bürger seit einiger Zeit so manche Schweinerei zu erdulden. Kein Wunder also, dass sie der Verwandlung des Festzelts in einen Saloon mit stürmischem Beifall zustimmen – und gemeinsam mit der kessen Bardame Kitty (Sybille Löwe) dessen Besucher begrüßen. Der Erste schleicht sich in khakifarbenem Prärie-Outfit mit Tropenhelm auf dem Kopf und einem Kescher in der Hand heran, fuchtelt inmitten der Gäste wild durch die Luft – und schlägt zu. Eine „Cethosia Cane“ – ein Exemplar des seltenen Leoparden-Netzflüglers habe er soeben in Gerbis-City gefunden, jubelt der Sonderling. Jetzt weiß Misses Kitty sofort, mit wem sie es zu tun hat: mit Lord Castlepool (Steffen Löwe), dem legendären Schmetterlingsforscher.
Der schottische Adlige hat die Schatzsuche am Silbersee abgebrochen. Dazu war er von Karl May vor etwa 100 Jahren verdonnert worden. Kitty staunt, denn nach so langer Zeit ist der Mann noch immer stattlich anzuschauen. Warum? Weil der Lord viel Milch trinkt. Doch die ist in der Bar leider nicht vorrätig. Also gibt er sich mit Whisky zufrieden und schwärmt sogleich mit Kitty von den guten alten Zeiten, als Winnetou und Old Shatterhand noch durch die Prärie streiften. Die ungleichen Blutsbrüder jagen allerdings längst in den ewigen Jagdgründen. Doch ihre Kinder Winnetou jun. (Petra Schneider) und Nschjo-tschi jun. (Jutta Heymann) sind flugs zur Stelle – und mit ihnen auch Onkel Winnetatsch (Christian Odebrecht) – in den Schuhen des Mannitou. Sein rosa Schirmchen schwingend verkündet er singend und mit lässigem Hüftschwung: „Ich will ’nen Cowboy als Mann!“ Ob er den allerdings in „Gerbis-City“ findet? „Heiraten geht sowieso nicht, unser Priester ist in den New-Graben (zu deutsch – Neugraben) gestürzt“, bedauert Kitty.
Viel Zeit zur Trauerandacht bleibt nicht, denn schon eilt der nächste Gast in den Saloon: Little Joe – mit Nachnamen Cartwright. Prompt spielt der „Mann am Klavier“ (Ottmar Jänichen) zur großen Freude des Publikums die Ponderosa-Film-Melodie. Tänzerin Pamela (Gudrun Werner), mega-vollschlank, zeigt sich dazu fit wie ein aufgepusteter Wasserball. Angelockt von so viel Rhythmus findet endlich auch der „Große Häuptling“ (Karin Heinke) zur illustren Gesellschaft. Er sorgt sich um Tochter Apanatschi (Antje Schneider), weil die mit flotten Jungs am liebsten „Cowboy und Indianer“ spielt. Winnetatsch ist echt sauer, sieht er doch seine Chancen sinken.
Doch bevor die Rangelei so richtig beginnt, hört das Ohr des Häuptlings bedenkliche Geräusche. „Siebentausend Rinder“ verkündet er, worauf alle in den allzu bekannten Hit einstimmen, sichtlich froh, dass es keine anderen (quickenden) Vierbeiner sind: „Ich bin Kuhjunge und kein Schweinehirte“, tönt Cowboy Little Joe. Selbst Pistolen-Willy (Jutta Odebrecht) schafft es nicht, als Bankräuber verkleidet, den Freundeskreis zu sprengen. Weil er sich allzu dusslig anstellt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als mitzufeiern und das große Feuer anzuschüren. Denn die Bürger von „Gerbis-City“ wollen dem „Großen Vater von Jessen-Town“ ein Rauchzeichen geben: Sie werden sich weiterhin gegen Schweinefarmen und andere Störenfriede zur Wehr setzen. „Howgh, ich habe gesprochen“, sagt der „Große Häuptling“. Und das ist Gesetz. Quasi wie Stadtrat.
Um das zu bekräftigen, vereinigen sich alle Saloon-Besucher am Ende zur stimmgewaltigen Country-Band. Ohne Zweifel wird das Heimatvereins-Ensemble mit seinem starverdächtigen Frontsänger Steffen Löwe an der Seite auch im nächsten Jahr die Bühne erobern. Dann allerdings in anderen Rollen.
