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Fachtagung auf dem Rösenhof Fachtagung auf dem Rösenhof: Weg aus der Abhängigkeit

Von Detlef Mayer 28.07.2015, 10:03
Anton Erhart aus Verden/Aller sprach er ganz locker über seinen Lebensweg
Anton Erhart aus Verden/Aller sprach er ganz locker über seinen Lebensweg Thomas CHristel Lizenz

Meltendorf - „Uns in der Heporö ist es wichtig, dass immer auch die Perspektive der Betroffen einfließt“, beschrieb Geschäftsführerin Simone Rohde ein Grundanliegen der gGmbH, die in der Region mehrere Einrichtungen für alkoholkranke Frauen und Männer betreibt. Deshalb freute sie sich sehr, zur ersten Fachtagung Sucht auf dem Meltendorfer Rösenhof auch Anton Erhart begrüßen zu können.

Souveräner Umgang

Der trockene Alkoholiker aus Verden/Aller gab ganz ungeniert Einblicke in sein Leben - mit und ohne Alkohol. Seine Leitlinie dafür lautet: „Fürs Trockensein und -bleiben ist es wichtig, zu seiner Alkoholkrankheit zu stehen, sich offen dazu zu bekennen und souverän damit umzugehen.“ Dazu rechnet er auch, seine Vergangenheit gründlich aufzuarbeiten - nicht zuletzt bei seinem Engagement als Suchthelfer, in zahlreichen Vorträgen und Büchern, von denen er inzwischen mehrere verfasst hat. Im Zuge dieser tiefgreifenden Vergangenheits-Bewältigung habe er inzwischen sogar seinen Frieden mit seinem Vater gemacht. Von dem sagte er, dass er sich bemüht habe, ihm ein guter Vater zu sein, es nicht besser wusste und konnte.

Womit Anton Erhart oder einfach Toni - wie er die Zuhörer aufforderte, ihn zu nennen - zu seiner Kindheit zurückkehrte und von ihr ausgehend sehr detailliert und anschaulich seine Lebensgeschichte aufrollte. Die Eltern des heute 50-Jährigen - seinen beiden älteren Brüder wurden 1960 und 1961 geboren - hatten einen Bauernhof in Bayern. Der Vater war ein 1,90-Meter-Hüne und neigte dazu, den Sohn körperlich zu züchtigen. „Sein Wort galt! Widerspruch zwecklos.“

Mit acht Jahren sprang Toni vom Traktor, brach sich ein Bein und versäumte eine Zeit lang den Unterricht, weshalb er dann ein bisschen den Anschluss verlor. Nach der Schule lernte er Landmaschinenschlosser - „den Beruf hatte mein Vater für mich ausgesucht, weil das ja zu unserem Bauernhof passte“. Kurz vor dem ersten Lehrjahr erlebte Anton Erhart, der damals aktiv Fußball spielte, seinen ersten Rausch. Er wähnte sich damit in der Erwachsenenwelt angekommen. Der Kater allerdings hielt ihn ein Jahr lang von weiterem Alkoholgenuss ab. Als sein Freund, der sein ständiger Begleiter war, bei einem Autounfall umkam, stand Toni allein da und wusste mit seiner Freizeit nichts mehr anzufangen. Er begann, regelmäßig zu trinken. „Trotz der Warnungen von meinen Eltern und Kumpels war Alkohol damals für mich positiv besetzt.“ Außerdem half ihm der Alkohol, Stresssituationen zu bewältigen, seine Unsicherheiten und Ängste zu überspielen. 1983 bestand der junge Mann seine Gesellenprüfung und nahm 30 Kilometer entfernt von daheim eine Arbeit auf. Er verstand sich jedoch nicht mit dem Meister. „Der hat mir mein Frühstücksbier verboten.“ Woraufhin Anton Erhart den Job hinschmiss und sich in Italien und Deutschland mit Gelegenheitstätigkeiten und als Kleinkrimineller durchschlug.

Trockene und Trinkerphasen wechselten einander ab. Er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und musste später für ein Jahr in den Knast. 1985 hatte er eine Festanstellung in einem Traktorenwerk und verdiente nach eigenem Bekunden gutes Geld. Doch schon ein Jahr später zog er mit einem Obdachlosen davon. „Das war für mich die Chance, nicht mehr nach Hause zu müssen.“ 1987 dämmerte ihm, dass er ein Alkoholproblem hat. Er begann, sich Grenzen zu setzen beim Trinken, überschritt sie aber immer wieder.

Acht Entgiftungen

1988 heiratete Anton Erhart, das erste Kind war unterwegs. Bis 1994 war er ab und an vierteljahreweise trocken. Dann lernte seine Frau einen anderen Mann kennen, was er mit Tabletten und Alkohol wegzustecken versuchte. Zwischen 1994 und 1996 durchlief Toni acht klinische Entgiftungen. 1995 verließ ihn seine Frau ganz. Er bekam einen lebensbedrohlichen Krampfanfall. Seine Ex-Frau verlangte daraufhin eine neuerliche Therapie von ihm - „schon wegen der Kinder“. „Damals war ich 32 Jahre alt. Im Gespräch mit dem Therapeuten erkannte ich: Eigentlich bin ich nicht mehr bereit, die Konsequenzen meines Trinkens zu tragen. Der Therapeut schaffte es, meine bisherige Welt auf den Kopf zu stellen: Sie können weiter trinken, aber wollen Sie das wirklich, hat er mich gefragt.“

Es folgte eine 16-wöchige Therapie, die auf seinen Wunsch hin sogar verlängert wurde. Seine Ex-Frau war inzwischen durch ihren neuen Mann auf die Drogen-Bahn geraten. „Und plötzlich musste ich die Kinder betreuen. Da habe ich begonnen, meine Erlebnisse zu reflektieren und aufzuschreiben.“ Einiges davon landete im Internet. So wurde Jürgen Fliege auf ihn aufmerksam und lud ihn in seine Fernsehsendung ein. „Ein alleinerziehender Alkoholiker, das erschien ihm wohl interessant“, mutmaßte Anton Erhart.

2004 gab er zusätzlich zum Trinken auch das Rauchen auf und qualifizierte sich zum Lageristen. Sein in dieser Zeit erschienenes erstes Buch trägt den Titel „Wege der Vergangenheit“ und behandelt seine Suchtgeschichte. Er qualifizierte sich zum Suchthelfer und bekam 2007 in diesem Metier einen Honorarvertrag als Dozent. Seit 2010 ist Anton Erhart hauptberuflich in der ambulanten Betreuung von Alkoholkranken tätig.

Enkelkind wird erwartet

2012 übernahm er zudem die Leitung einer Motivationsgruppe bei der Suchtberatung. Sein jüngstes Buch heißt „Mach dich un-abhängig - vom Sollen zum Wollen“. Es ist im März erschienen, in Meltendorf hatte er es dabei. „Ich bin jetzt nicht mehr ängstlich vorm Leben. Das Leben ist wieder ein Abenteuer, ich bin darauf gespannt, was es noch alles bringt“, erklärte der Mann, der ein Verfechter der stationären Therapie ist, denn: „Was sich 20, 30 Jahre lang verfestigt hat, lässt sich nicht ambulant wegbekommen.“ Demnächst wird Anton Erhart übrigens Opa. (mz)

Anton Erhart aus Verden/Aller hat als inzwischen trockener Betroffener bereits mehrere Bücher zum Thema Sucht und Suchtbewältigung verfasst.
Anton Erhart aus Verden/Aller hat als inzwischen trockener Betroffener bereits mehrere Bücher zum Thema Sucht und Suchtbewältigung verfasst.
Thomas Christel Lizenz