Diest-Hof in Seyda Diest-Hof in Seyda: Bedürftige Menschen werden seit 130 Jahren betreut

SEYDA/MZ - „Es ist das erste Mal in der Geschichte der Seydaer Kirche, dass ein Bischof in Sankt Peter und Paul gepredigt hat.“ Seydas Pfarrer Thomas Meinhof ist sichtlich stolz, dass seine Recherchen in der Kirchenchronik dies bestätigten. Der evangelische Regionalbischof Johann Schneider vom Propstsprengel Halle-Wittenberg ist denn auch aus einem ganz besonderen Anlass in dem Jessener Ortsteil. 130 Jahre zuvor, am 14. Dezember 1883, wurde der Diest-Hof, damals Arbeiterkolonie Seyda genannt, durch den Regierungspräsidenten Gustav von Diest gegründet.
„Arbeit statt Almosen“
Er gab arbeitslosen Landarbeitern Lohn und Brot und damit getreu dem Motto „Arbeit statt Almosen“ einen neuen Lebensinhalt und Zuversicht. Im Laufe der Jahrzehnte wechselten und wuchsen die Aufgaben, heute werden hier 76 Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung betreut.
Seit damals hat die Einrichtung am Rande des Ortes so manche grundlegende Wandlung durchlebt. Dem wird in der Seydaer Kirche Sankt Peter und Paul mit einem Festgottesdienst unter dem Thema „130 Jahre tatkräftige Nächstenliebe“ gedacht. Aufgabe für die ersten Bewohner des Diest-Hofes war das Anlegen eines verzweigten Grabensystems am Rande der Glücksburger Heide, in deren Umfeld sich der Diest-Hof befindet. Ehemals dauerhaft feuchte Wiesen wurden trockengelegt. Es entstanden fruchtbare Ackerflächen, die noch heute unter anderem von den Vereinigten Agrarbetrieben „Seydaland“ bewirtschaftet werden. Im Jahr 1924 wurde die Einrichtung zu einer landwirtschaftlichen Lehranstalt umfunktioniert, in den 1930er Jahren wieder zur Arbeiterkolonie. Heimatvertriebene, insbesondere ältere und behinderte, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen. Es entstand das von der evangelischen Kirche betreute Alten- und Pflegeheim Seyda.
Immer mehr Menschen mit geistiger Behinderung fanden in den 1980er Jahren im Diest-Hof ein Zuhause. Nach 1989 wurden zunehmend geistig und mehrfach behinderte Menschen hier aufgenommen. Seither ist es eine Einrichtung der diakonischen Behindertenhilfe. 1991 kam es zur Neugründung des Gustav-von-Diest-Vereins. Der Diest-Hof drohte aus den Nähten zu platzen, umfangreiche Sanierungs- und Neubaumaßnahmen wurden in Angriff genommen, 1997 zwei neu gebaute Wohnhäuser fertig gestellt. 2002 erfolgten der Umbau und die Einweihung des Haupthauses als Wohnheim. Betreut werden die Bewohner von 60 Mitarbeitern in den Bereichen Wohnen, Tagesförderung, Küche, Verwaltung, Hauswirtschaft und Technik. Jährliche Höhepunkte sind das Sommerfest und der Adventsmarkt. Sie werden von sehr vielen Gästen und Angehörigen immer wieder gern besucht.
Das kulturelle Angebot ist recht vielfältig. So hat die Trommelgruppe beim Festgottesdienst ihren Auftritt. Beim anschließenden Festempfang im „Schützenhaus“ noch einmal, gemeinsam mit der Theatergruppe.
Idee mit Leben erfüllt
Regionalbischof Johann Schneider würdigt das engagierte Wirken der Diest-Hof-Mitarbeiter: „Es ist gut, dass es diese Gemeinschaft gibt. Die Idee des Gustav von Diest wird hier täglich mit Leben erfüllt.“ Die Menschen hätten gut zu essen, stets ein warmes Bett und sie könnten entsprechend ihren Möglichkeiten arbeiten, lachen, tanzen und gemeinsam feiern.
Schneider oblag anschließend die besondere Aufgabe, einen aus Sevetal bei Hamburg angereisten Ehrengast zu würdigen und hoch zu dekorieren: Walter von Diest. Der 83-Jährige war unter anderem eine Zeit lang Vorsitzender des Gustav-von-Diest-Vereins. Er erhielt das Kronenkreuz der Diakonie in Gold. „Es ist erst das zweite Mal in meiner Amtszeit, dass ich es übergeben darf“, sagt der Regionalbischof. Die Auszeichnungen des Diakonischen Werkes werden verliehen für langjährige Dienste in Kirche und Diakonie. „Ich war mein ganzes Leben lang der Diakonie eng verbunden“, erwidert Walter von Diest. In seinem Berufsleben war er als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig. Nach der Wende besuchte er mehrfach die Seydaer Einrichtung und konnte sich überzeugen, dass hier die Idee und das Vermächtnis seines Urgroßonkels vehement mit Leben erfüllt werden. Nachfahren derer von Diest gibt es viele. Etwa 70 von ihnen waren bisher schon in der Region Wittenberg und in der Seydaer Einrichtung zu Gast.