1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Jessen
  6. >
  7. Das kleinste «Hotel» Europas

Das kleinste «Hotel» Europas

Von EVELYN JOCHADE 17.09.2008, 17:08

HEMSENDORF/MZ. - In Wollschweinhausen aber ist das durchaus normal. Denn, Rudi und Walli sind Wollschweine und leben ihr Leben auf Familie Lemckes Holunderhof in Hemsendorf.

Die beiden Prachtexemplare mit ihren Locken, so frech wie süß aussehend und an diesem Tag erwachsene wie kleine Besucher in Verzücken setzend, gehören einer alten Haustierrasse an, die vornehmlich in Österreich und Ungarn gezüchtet wurde. Die Ferkel sehen in ihrem gestreiften Outfit wie kleine Wildschweinfrischlinge aus. Die dicke Speckschicht, die die Tiere unter der Haut tragen, garantiert äußerst schmackhaftes Fleisch, welches in Spanien vornehmlich für den berühmten Serrano-Schinken und in Ungarn für die nicht weniger bekannte Salami genutzt wird. Darüber hinaus aber wird diese Haustierrasse kaum noch gehalten, so dass sie tatsächlich vom Aussterben bedroht ist. Auch deshalb waren viele Besucher zur Hochzeit gekommen. Sie wünschten dem jungen Glück Nachwuchs.

Die Brautleute aber hatten es nach der Hochzeitsrede auf etwas ganz anderes abgesehen: Die große Hochzeitstorte. Selbstverständlich aus Schweinemagen tauglichen Leckereien. Von Teilen hielten beide jedoch nichts und schon schien sich der erste Ehekrach anzubahnen. Laut schmatzend war die Torte in null Komma nichts verspeist - Walli sicherte sich da wohl die größere Portion, was einen Herrn aus dem Publikum wohl an seine Ehe erinnerte: "Na, da kann sich Rudi gleich mal an die Ordnung gewöhnen!", meinte der und erntete dafür Gelächter. Waren die Tiere vor allem etwas für die Kinder, putzige Minischweinferkel waren ebenfalls zu bewundern, so konnten die Erwachsenen bei schöner Akkordeonmusik einmal so richtig abspannen oder aber den großen Flohmarkt in Scheune und Nebengebäude besuchen. Wer hier nicht fündig wurde, war selber schuld. Von Kitsch bis Kunst und alles, was es dazwischen an Brauchbarem und Unnötigem gibt, lag hier ordentlich auf den Tischen oder hing an der Wand. Hatte man davon genug und war geschafft, gab es genügend Möglichkeiten aufzutanken. Vor allem lockte das Hochzeitsmahl aus frischem Brot und Holundersaft, aber auch an einem Schlag Erbsen aus der Gulaschkanone kamen viele nicht vorbei.

Die Besucher des Hofes, die das erste Mal hierher gekommen waren, entzückte vor allem das mitten im Hof stehende 1936 gebaute Taubenhaus. Der unter Denkmalschutz auf einer Grundfläche von knapp über zwölf Quadratmetern stehende rote Ziegelbau soll, nach dem Willen seiner Besitzer, einmal das kleinste "Hotel" Europas beherbergen, Unterkunft sein vor allem für Radtouristen. Sieben Anfragen habe er dafür schon über das Internet bekommen.

Michael Lemcke, der vor einigen Jahren den Hof erwarb, hat sich hier mit seiner Frau einen Traum erfüllt. Mit der Natur leben und auch die Tiere leben lassen. So sind Rudi und Walli tatsächlich so etwas wie glückliche Schweine und nicht nur, weil sie nun verheiratet sind.