1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Jessen
  6. >
  7. Das jüngste „Kind“ am Schwanenteich in Jessen

25 Jahre „Wir“-Verein Das jüngste „Kind“ am Schwanenteich in Jessen

Zwei widrige Umstände nehmen ein glückliches gemeinsames Ende am Jessener Schwanenteich. Dafür werden ganze Bäume ausgerissen.

Von Ute Otto 24.08.2021, 10:24
Gruppenbild des Schwanenteich-Teams mit Ganter Guste und anderen Pflegetieren
Gruppenbild des Schwanenteich-Teams mit Ganter Guste und anderen Pflegetieren (Foto: Ute Otto)

Jessen - Zum Frauentag 2016 bekommt Margit Mehr, die Vorsitzende des Vereins „Wir - Landfrauen helfen sich selbst“, eine Mail von Jessens Bürgermeister Michael Jahn (SPD). Es ist ein Hilferuf. Ob sie eine Möglichkeit sehe, die Unterhaltung des Tiergeheges am Schwanenteich fortzusetzen, ansonsten drohe dessen Schließung. „Wir hatten ein Defizit von 3,7 Millionen Euro im Stadthaushalt“, erinnert sich Jahn. „Da mussten alle freiwilligen Maßnahmen auf den Prüfstand.“

Es dauert nicht lange, bis der „Wir“-Verein sein Nutzungskonzept vorlegt. Neben den Erholungsmöglichkeiten für Bürger sah es vor, vor allem den Schülern aus den Schulen der Stadt anschaulich Tiere der Heimat nahe zu bringen. Von einer Arbeitsgemeinschaft „Tieroase“ für Schüler ist da schon die Rede, von Lehrpfaden, Projekttagen und anderen Veranstaltungen. Schon in den Sommerferien 2016 gibt es die ersten Angebote.

Karger Boden

In jener Zeit kommt ein früherer Beschluss des Stadtrates zum Tragen, das Gelände an der Kirschplantage, wo der „Wir“-Verein seinen Gemüse- und Kräutergarten hat, als Wohnbaufläche auszuweisen. Mit der Ernte 2017 soll das Feld dort geräumt sein. Die Stadt bietet dem „Wir“ e.V. für den Kräutergarten das ehemalige Wildgehege am Schwanenteich an. Was sich später als glückliche Fügung bezeichnen lässt, bereitet Margit Mehr zunächst viel Bauchschmerzen.

Das Land muss erstmal urbar gemacht werden. Das heißt Bäume roden, Wege anlegen, pflanzen. Es ist karger Boden und staubtrocken. Zusätzlich bewässert werden kann zunächst nur mit Wasser aus der Regentonne. Dazu bekommt der Verein das ehemalige Vereinshaus der Taubenzüchter zur Nutzung. Margit Mehrs Vorstellungen von einem Schnupperlädchen mit kleinem Café werden Wirklichkeit, der Versammlungsraum kann auch für Familienfeste bis 40 Personen gemietet werden und im Obergeschoss stehen zwei Workshopräume zur Verfügung.

Dann kommt das „Frühlingserwachen“ mit dem Mitteldeutschen Rundfunk im April 2018. Im Wettbewerb mit ähnlichen Aktionen in zwei weiteren Orten Mitteldeutschlands finden sich in Jessen über 300 Teilnehmer, Vertreter der Stadt, der DAV-Ortsgruppe, des „Wir“-Vereins und weitere Freiwillige ein zur großen Verschönerungsaktion. Sie wandeln das Areal zu einer Wohlfühloase mit Pavillon um. „Das war für uns ein richtiger Glückstreffer“, sagt Margit Mehr rückblickend und ähnlich hört man es vom Bürgermeister. „Das hat uns dort so richtig vorangebracht.“

Margit Mehr (re.) begutachtet den Kräuteressig, der mit anderen einschlägigen Produkten aus dem Garten  im Schnuperlädchen verkauft wird.
Margit Mehr (re.) begutachtet den Kräuteressig, der mit anderen einschlägigen Produkten aus dem Garten im Schnuperlädchen verkauft wird.
(Foto: Ute Otto)

Das Gelände gewinnt zunehmend an Attraktivität. Davon können sich die Gäste zur Jubiläumsfeier am 11. September selbst überzeugen. Wenn es auch durch die Pandemie Rückschläge bei der Zahl der Veranstaltungen und der Besucher gibt, entmutigen lassen sich die Vereinsvorsitzende und ihr Team nicht. Die Resonanz bei den jüngsten Kräuterworkshops für Erwachsene und Kinder belegten, dass sie auf dem richtigen Weg sind.

Ein bisschen mehr Kundschaft im Schnupperlädchen wünschen sich Juliane Rühlicke und Henriette Grüneberg, die Mitarbeiterinnen im Lädchen. „Das Schild ist zu spät zu erkennen“, mutmaßt Henriette Grüneberg, die 2021 immerhin schon Radwanderer aus den Niederlanden begrüßen konnte. „Alle, die hier reinkommen, staunen, wie gemütlich es hier ist“, erzählt Juliane Rühlicke.

Namenspatron nur Attrappe

Henriette Grüneberg amüsiert es immer, wenn Kinder, die aus der Kita Koboldmühle abgeholt werden, es überhaupt nicht eilig haben, nach Hause zu kommen, weil sie den Minischweinen, Gänsen, Pfauen und Ziervögeln, Ziegen, Kaninchen und Meerschweinchen noch Tschüss sagen müssen.

Einen Schwan gibt es nur als Attrappe am Schwanenteich. Nachdem der erste der drei Vögel, die aus dem Erzgebirge gebracht worden waren, verschwand und der zweite vom Fuchs geholt wurde, ist der dritte vermutlich an Einsamkeit gestorben.

„Wir arbeiten dran“, das Manko zu beheben, verspricht Michael Jahn. Dass es Schwäne mit Handicap, also flugunfähige, sein sollen, darauf legt die Vorsitzende des Wir-Vereins nicht nur aus pragmatischem Grund Wert. „Integration ist doch unser Markenzeichen“, sagt sie. (mz)