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Theater in Sachsen-Anhalt Anastasia-Bewegung: Theaterprojekt Polyformers performt im Seydaer Pfarrgarten

Nach dem Stück „Unser täglich Brot“ 2023 zeigt das Theaterprojekt Polyformers aktuell eine eher dokumentarische Arbeit. Was es mit der Anastasia-Bewegung auf sich hat.

Von Klaus Adam Aktualisiert: 20.09.2024, 18:22
Selbst das Säen von Pflanzen folgt bei „Anastasia“ eigenen – esoterisch geprägten – Regeln. Unter anderem muss es barfuß geschehen.
Selbst das Säen von Pflanzen folgt bei „Anastasia“ eigenen – esoterisch geprägten – Regeln. Unter anderem muss es barfuß geschehen. (Foto: Klaus Adam)

Seyda/MZ. - Was gibt es zu bemängeln, wenn Menschen sich einig sind und sich etwas zurückgezogen von anderen eine eigene heile Welt aufbauen? Die anderen betont freundlich entgegentreten, sich nicht aufdrängen wollen. Und doch werben sie auf eine eigene subtile Art um Mitstreiter.

Drei junge Spieler, weitgehend einheitlich hell gekleidet, minimale Ausstattung, eine Instrumentalistin, agieren im Seydaer Pfarrgarten und wollen aufklären. Sie führen das Stück „Anastasia – Auf der Spur völkischer SiedlerInnen“ auf. Doch was ist das Völkische an solch einfachen Sätzen, wie sie in einem Werbevideo gesagt werden? „Das ist Tom,“ heißt es da. „Ihm geht es wie dir heute. Er fühlt sich ausgelaugt, total gestresst durch seine Arbeit, ist nur noch selten fröhlich und hat oft ganz schlechte Laune.“

Gestresst vom Alltag

Der Tom aus dem Video wird dem Publikum gleich darauf auch in persona vorgestellt. Er ist genervt von allem, steht permanent unter Druck von Chef und Frau und ist auf der Suche. Er trifft seinen alten Schulfreund Paul. Der erzählt ihm von seinem Familienlandsitz, wo er wohnt. Dort habe jede Familie einen eigenen Hektar Land, auf dem alles angebaut werde, was man brauche, in völliger Freiheit, im Einklang mit der Natur. Eine schöne Aussicht für Tom.

Doch bei näherer Betrachtung sind es die Grundwerte, die diese Siedlerbewegung pflegt und die sie charakterisieren und die als bedenklich dargestellt werden. Fremdes wird als Gefahr empfunden und abgelehnt. Rassistische Ideen prägen die Gedankenwelt der Siedler. So seien Juden an ihrem Schicksal selbst schuld, weil sie Soldaten eines Oberpriesters seien, der die Macht auf der Welt ergreifen wolle. Ein Ahnenkult bestimmt das Geschichtsverständnis. Das Leben ist zudem von einem archaischen Frauenbild gekennzeichnet. Eine mögliche Vergewaltigung der Symbolfigur Anastasia durch den fiktiven Erzähler wird in den Raum gestellt.

In dem Stück, das als „dokumentarische Theaterreise hinter die Kulissen des sektenartigen Siedlerlebens“ angekündigt ist, wechseln sich fiktive Szenendialoge ab mit Zitaten und Daten aus realen Vorlagen. Darunter auch etliche Stellen aus der ideellen Grundlage dieser Siedlerbewegung. Denn die geht auf eine zehnbändige Fantasy-Romanvorlage des russischen Autors Wladimir Megre zurück. Der, so heißt es, stecke wohl selbst in der Figur des angeblich fiktiven Romanerzählers. Der habe die Einsiedlerin Anastasia kennengelernt. Die lebe im Einklang mit Pflanzen und Tieren, habe magische Fähigkeiten. In Gesprächen mit dem Erzähler entwickele sie ihre Sicht auf Natur und Gesellschaft. Sie habe, so wird aus dem siebenten Band der Reihe zitiert, die Menschen aus der Dunkelheit zum Licht geführt. Aus ihrer Sicht, also der des Autors Megre, seien „alle westlichen Demokratien korrupt, dekadent und deformiert“. Demokratie fördere gesellschaftlichen Verfall, leiste Kriminalität Vorschub und sei für die Verbreitung tödlicher Krankheiten verantwortlich.

Zeitgeschichtlich ganz konkret wird das Stück, wenn es um die Verknüpfung der offenen rechtsnationalen Szene mit der Anastasia-Bewegung geht. Da werden Daten und Orte genannt. Und Taten. Etwa sollen im Vorfeld eines Jul- und Handwerkermarktes der Anastasia-Siedlung „Weda Elysia“ in Wienrode bei Blankenburg kurz vor Weihnachten 2019 die Reifen von vier Autos und zwei Anhängern zerstochen worden sein, die Kritikern der Bewegung gehörten, darunter der Pfarrer und eine Ortschaftsrätin.

Eine Probandin kämpft mit den Folgen einer von „Anastasia“ verkauften Creme. „Aber ihr wird es bald viiiiel besser gehen.“
Eine Probandin kämpft mit den Folgen einer von „Anastasia“ verkauften Creme. „Aber ihr wird es bald viiiiel besser gehen.“
Foto: Kl. Adam

Humoristisch-makaber

Das Stück bietet auch durchaus humoristische Ansätze. Etwa wenn die Reaktion der Landesregierungen von Brandenburg und Sachsen-Anhalt auf Anfragen der Landtagsfraktionen der Linken thematisiert werden. „Wie schätzt die brandenburgische Landesregierung die Anastasia-Bewegung ein?“ – „Ananas ..., äh, muss ich nachgucken ... Aktuell ist sie keine Bewegung gemäß dem brandenburgischen Verfassungsschutzgesetz. Es liegen keine Erkenntnisse gegen diese Bewegung vor.“ Frage: „Laut einem Pressebericht sollen Anhänger der Anastasia-Bewegung Fördermittel für ein Bauvorhaben in Grabow erhalten haben...“ – „Was ..., nein ..., ohhh ...“, staunt der Landesbedienstete.

Nicht viel anders die Antworten aus Sachsen-Anhalt. Zwar sei die Siedlung „Weda Elysia“ bekannt und auch, dass es personelle Verknüpfungen mit völkischen und Reichsbürgerkreisen gebe, aber man dürfe aufgrund des Datenschutzes keine personenbezogenen Angaben machen. Nach dem genannten Anschlag auf die Autos in Wienrode seien sechs Ermittlungsverfahren eingeleitet, alle seien abgeschlossen und nach geltendem Gesetz: eingestellt.

Das Stück thematisiert noch weitere Aspekte vor allem der Außenwirkung der Bewegung. Etwa mittels einer Fernsehshow „Love-TV“, in der man Kritikern vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnisse entgegenhält. Antisemitisch sei man keineswegs, immerhin seien doch alle zehn Bände der Anastasia-Romanserie in Israel auf hebräisch erschienen. Auch Merchandising-Angebote werden beworben. Dabei werden Zedernholz und Produkten daraus vielfach esoterische Wirkungen zugesagt und mit ihnen geworben. Wie sich Pressestimmen von anfänglicher Euphorie über das Siedlerprojekt wandeln und zu kritischer Auseinandersetzung mit den Verknüpfungen zu völkischen und Reichsbürgerkreisen finden, wird ebenfalls angesprochen.

Das Publikum im Pfarrgarten honoriert das Spiel mit Beifall. Der fällt allerdings deshalb etwas spärlicher aus, weil viele die zuvor von Pfarrer Thomas Meinhof verteilten Schirme in der Hand halten. Kurz vor Schluss des Stückes beginnt es zu regnen.

Die „Macher“ des Stückes

Das Theaterprojekt Polyformers, das sind die Bühnen- und Kostümbildnerin Sarah Methner, die Dramaturgin Lene Gaiser und der aus Elster stammende Literatur- und Politikwissenschaftler Fabian Rosonsky. Alle drei haben bereits nationale und teils auch internationale Theatererfahrung gesammelt. Für ihre Projekte suchen sie sich jeweils Partner aus einem bestehenden Netzwerk, die dabei mitmachen wollen.

In dem Stück „Anastasia“ spielen Christina Berger, Maj-Britt Klenke und Jannik Mioducki. Die Livemusik spielt Almut Lustig ein, die auch die musikalische Leitung innehat. Regie und Projektleitung liegen bei Fabian Rosonsky. Fachberatung leistete der Journalist und Publizist Andreas Speit. Er schreibt für mehrere Tageszeitungen, unter anderem wöchentlich für die TAZ zu Themen des politischen Extremismus.

Einige der Dialoge in dem Stück sind fiktiv. Doch Fakten und Daten entstammen recherchierten Dokumenten und Veröffentlichungen, so auch Eigendarstellungen der Anastasia-Bewegung, erklärt Fabian Rosonsky im Gespräch mit der MZ. Auch die im Stück genannten Merchandising-Produkte und deren Inhaltsangaben seien authentisch, so der Regisseur. Auf die Thematik gestoßen ist die Theatergruppe im Zuge ihrer Arbeit an dem Stück „König von Deutschland – Eine interaktive Reise ins Reichsbürgerland“.