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MZ-Krimiserie MZ-Krimiserie: Suche nach Bernsteinzimmer sorgt bei Wiederstedt für Unruhe

Von Wolfram Bahn 21.08.2016, 17:00
Das nachgebildete Bernsteinzimmer im Katharinenpalast in Puschkin bei Sankt Petersburg. Das Original gilt seit 1945 als verschollen.
Das nachgebildete Bernsteinzimmer im Katharinenpalast in Puschkin bei Sankt Petersburg. Das Original gilt seit 1945 als verschollen. Archiv/dpa

Wiederstedt - Hans-Peter Sommer hat die skurrile Situation noch genau vor Augen. Wir schreiben das Jahr 1998. Plötzlich erscheinen zwei Herren unangemeldet im Büro des Landrates in der Lindenallee in Eisleben. Sie seien im Auftrag der Kommissarischen Regierung des Deutschen Reiches gekommen, um eine Grabungserlaubnis für den Raum Wiederstedt einzuholen, hört Sommer einen der beiden Männer in ziemlich aufdringlicher Art sprechen.

Noch verwirrender wird es, als die unheimlichen Besucher vorgeben, dass es hinreichende Anzeichen dafür gäbe, dass in Gipshöhlen bei Wiederstedt das Bernsteinzimmer und der Reichspostschatz vergraben wären.

Der Landrat aus Hettstedt, der ein geschichtsinteressierter Lehrer war, weiß natürlich, dass beide seit Ende des Zweiten Weltkrieges verschollen sind. Insbesondere das legendäre Bernsteinzimmer, das Preußen-König Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1716 dem russischen Zaren Peter dem Großen geschenkt hatte, beflügelt seither die Fantasie der Schatzjäger.

Beamte geben sich als Vertreter eines „Fürstentums Sealand“ bei Berlin aus

Doch, dass dieses „Objekt der Begierde“ ausgerechnet im Mansfelder Land versteckt sein soll, das mutet ihm mehr als verwegen an. Noch dazu, da sich die Herren als Vertreter eines „Fürstentums Sealand“ mit Sitz in Trebbin bei Berlin ausgeben. Sie hätten von der Reichsregierung den Auftrag erhalten, die Schätze zu bergen, ließen sie verlauten und präsentierten dem verdutzten Landrat auch Papiere mit Stempel.

„Ich habe das alles für Schnickschnack gehalten, so abstrus erschien mir das alles“, räumt Sommer im Rückblick ein. Und er schickt die Herren zur Verwaltungsgemeinschaft nach Sandersleben, in dessen Bereich die Höhlen liegen.

Die Besucher sind unzufrieden damit und verschwinden aus dem Landratsamt mit den Worten „Sie werden von uns hören.“ Was Sommer damals nicht ahnt: Sein Verhalten bringt ihm ein Todesurteil der imaginären „Deutschen Reichsregierung“ ein.

Monate später, am 3. Juli 1999, flattert ein Schreiben des „Generalbevollmächtigten für den verfassungsrechtlichen besonderen Status von Berlin“ auf den Tisch des Landrates. Darin wird Sommer kundgetan, dass gegen ihn wegen des „Vorwurfs des Landes- und Hochverrats“ ermittelt werde, weil er die Existenz der Kommissarischen Reichsregierung geleugnet und das Ansinnen der Vertreter des ominösen „Fürstentums Sealand“ nicht unterstützt habe.

Angeblich wollten sie das „geraubte Kulturgut“ an Russland zurückgeben, wenn ein Friedensvertrag zwischen dem „Deutschen Reich und den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges“ abgeschlossen sei.

Landrat Sommer erhält Todesurteil

Sommer nimmt das Schreiben nicht für voll und bekommt dafür im September prompt die Quittung: Die „Ermittlungsbehörde der Kommissarischen Reichsregierung“ teilt ihm mit, das er nach dem Strafgesetzbuch in der Fassung vom 30. Januar 1933 des Hochverrats für schuldig befunden sei. Und darauf steht die Todesstrafe.

Er solle sich für den Abtransport in ein „geeignetes Kriegsverbrecher- und Hochverrätergefängnis“ bereithalten. Gleichlautende Schreiben gehen auch an Vertreter verschiedener Behörden und an den Polizeirevierleiter Heinz Klockow.

Heinz Klockow war von 1973 bis 2005 bei der Polizei. Seine Laufbahn als Kriminalist begann er in Halle, später wechselte er nach Eisleben und dann nach Hettstedt. Dort hat er bis 2005 das Polizeirevier geleitet. In all den Jahren hat Klockow spektakuläre Kriminalfälle erlebt und auch bei schweren Unglücken mit seinem Team ermittelt. Für die MZ berichtet er exklusiv über diese Fälle, die zu DDR-Zeiten geheim gehalten wurden. (mz)

Die Hettstedter Kripo hatte sich eingeschaltet, nachdem die Polizeistation in Sandersleben schon Anfang 1999 merkwürdige Grabungen bei Wiederstedt gemeldet hatte. „Ich habe mir dann selbst ein Bild vom Geschehen gemacht“, erzählt der heutige Pensionär.

Zusammen mit dem Ordnungsamt des Landkreises und dem Bergamt des Landes in Halle nimmt die Polizei die Grabungen bei Wiederstedt unter die Lupe.

Sie entdecken in einem unwegsamen Gelände mehrere Einstiege in Tunnel. Nur bäuchlings kommen Klockow und ein Kollege voran, als sie einen Tunnel erkunden. Plötzlich stoßen die Ermittler auf eine stattliche Höhle, die vom früheren Gipsabbau bei Wiederstedt kündet. An den Wänden liegen Schläuche, die für Luftzufuhr sorgen. Der Ventilator wird mit Hilfe einer Autobatterie betrieben. „Das sah alles ziemlich primitiv aus“, schätzt Klockow im Rückblick ein.

Immerhin, die beiden Männer, die später als „Schatzsucher“ ausfindig gemacht werden, haben mittels einfacher Maschinen tonnenweise Erde und Geröll bewegt. „Und sie müssen gewusst haben, dass es die unterirdische Halle gibt“, glaubt der damalige Polizeichef von Hettstedt.

Bei den beiden Männern handelt es sich um ehemalige Beschäftigte vom Schachtbau Nordhausen, der einst zum Mansfeld-Kombinat gehörte. Die beiden kennen sich aus im Metier.

Arbeiter haben keine Genehmigung für Grabungen in Wiederstedt

Sie waren arbeitslos geworden und hatten den Job angenommen. Einer soll vorbestraft gewesen sein. Für die Grabungen besaßen sie keine Genehmigung, weder vom Bergamt, dem zuständigen Bauordnungsamt des Landkreises, noch vom Eigentümer des Areals, der Bodenverwaltungs- und -verwertungs GmbH (BVVG).

Sie erhalten die Auflage, alles wieder zuzuschütten. Doch sie ignorieren die Aufforderung. Stattdessen tauchen die Männer ein halbes Jahr später wieder im Gipsbruch auf.

Das ruft die Ordnungshüter und den Eigentümer des Geländes auf den Plan. Der schickt eine Sicherheitsfirma vorbei und die beendet den Spuk. Ob die Schatzsucher was gefunden haben, ist unklar. „Sie sind nach Thüringen weitergezogen“, erinnert sich Klockow. Immer, wenn er heute was vom selbst ernannten „König von Deutschland“ aus Wittenberg liest, muss er auch an diesen Fall denken. (mz)

Zum Abschluss der Serie geht es um kuriose Fälle des Ermittlers.

Klockow sieht sich Fotos von den entdeckten Grabungen an.
Klockow sieht sich Fotos von den entdeckten Grabungen an.
Winterfeld
Das unwegsame Gipsbruchareal bei Wiederstedt.
Das unwegsame Gipsbruchareal bei Wiederstedt.
Winterfeld
Schreiben der ominösen Reichsregierung an Sommer.
Schreiben der ominösen Reichsregierung an Sommer.
Winterfeld