Landgut Landgut: Heimat heißt Pfeiffhausen

Pfeiffhausen - „Das hier ist meine Heimat“, sagt Wilfried Voigt und umreißt mit der Hand einen breiten Halbkreis in der Luft. „Das hier“ geht über Pfeiffhausen hinaus weit ins Mansfelder Land. „Aufgewachsen bin ich aber in Köln“, ergänzt der 71-Jährige im nächsten Atemzug. Köln ist sein Hauptwohnort, sein Auto hat kölnisches Kennzeichen. „Es zieht mich aber immer wieder hierher“, so der Besitzer des Landschaftspflege- und Ziegenhofs in Pfeiffhausen.
Jetzt verbringt er die meiste Zeit nicht in Köln, sondern in Pfeiffhausen. Die Folgen des Brandes, der 2011 dem Hof großen Schaden zufügte, sind zwar bereits beseitigt. Doch die Produktion soll ausgeweitet werden. Die Ziegen-Herde, die jetzt 130 Melktiere zählt, soll zum Beispiel auf 150 bis 160 Tiere wachsen. Die Käseproduktion in geprüfter Bio-Qualität läuft gut.
„Hier ist unser neuestes Produkt: Harzer Käse aus Ziegenmilch“, zeigt Wilfried Voigt die Rollen im Keller-Lagerraum. „Soviel ich weiß, gibt es Harzer Käse aus Ziegenmilch überhaupt noch nicht. „Springender Bock“ lautet die Schrift an den Rollen. „Das haben wir als Markenname schützen lassen“, so Voigt.
Dass Wilfried Voigts Herz so sehr am Mansfeldischen hängt, hat seine Gründe. In Pfeiffhausen betrieben sein Vater Werner Voigt und sein Großvater Kurt Voigt einen Bauernhof, hier wurde er geboren und verbrachte die ersten neun Jahre. Und wer weiß, vielleicht wäre er seinerzeit für immer in Pfeiffhausen geblieben, wenn nicht die Bodenreform wäre. In deren Folge verlor die Familie zuerst den Hof, dann die Heimat.
Mehr als 60 Jahre ist es schon her, doch Wilfried Voigts Stimme verrät, dass die Erinnerungen ihn immer noch aufwühlen. Die Ungerechtigkeit, die seiner Familie zugefügt wurde. „Unser Hof gehörte nicht zu den ganz großen, es waren 99,46 Hektar Boden“, schildert Voigt. Deshalb ist die Familie von der Nationalisierung 1946 verschont geblieben, als die sowjetischen Militäradministration Großgrundbesitzer enteignete.
Doch Anfang der 50er Jahre waren dann auch die Voigts dran. Zu Unrecht, betont Wilfried Voigt. „Eigentlich dürften jene Bauern, die weniger als 100 Hektar Fläche besaßen, ihre Höfe behalten und wir lagen ja darunter“, rechnet er vor. „Doch offenbar wurde Land für die neu entstandenen LPG gebraucht. So beschuldigte man meinen Vater und meinen Großvater, nicht die 99, 96 Hektar, sondern 100,18 Hektar Boden zu besitzen. Man warf ihnen die Unterschlagung der Bodenreform vor.“
Ein Gericht verurteilte Kurt Voigt zu drei und Werner Voigt zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus. Beim Aufstand am 17. Juni 1953 wurden beide aus dem Gefängnis in Eisleben befreit. Doch während Werner Voigt in den Westen fliehen konnte, wurde Kurt Voigt wieder verhaftet und musste seine Strafe absitzen.
Der Hof wurde beschlagnahmt. Die Mutter, mit den Kindern nun allein geblieben, sah nur einen Ausweg: Flucht in den Westen. Der Weg dorthin führte über Berlin. Die Mauer gab es damals noch nicht. Also ging es per Zug nach Berlin.
„Mein Bruder Hartmut und ich hatten keine Ahnung, was unsere Mutter vorhatte“, erinnert sich Wilfried Voigt. „Um keinen Verdacht bei den Behörden aufkommen zu lassen, hat sie die Bahnfahrkarte nicht etwa bis Berlin, sondern bis Pasewalk gekauft. Der Zug fuhr aber über Berlin.“ Dort ein Umstieg in die S-Bahn. Leb wohl die Heimat im Mansfeldischen, ade die DDR. Nach einigen Zwischenstationen kam die Familie - inzwischen hat sich der Vater gemeldet - nach Rheinland. Schule, Beruf, Arbeit...Wilfried Voigt war viele Jahre bei Siemens beschäftigt, war in leitender Position bei der Johanniter-Unfallhilfe.
Im Jahre 1994 bekamen er und sein Bruder Hartmut den elterlichen Grund und Boden zurück. Hartmut Voigt übernahm die Äcker, die er verpachtet. Wilfried baute den ruinösen Hof zu einer gemeinnützigen Bio-Produktionsstätte auf. In Kooperation mit der evangelischen Stadtmission Halle stellt er Arbeitsplätze für Behinderte zur Verfügung. Seine Frau Brigitte („Voigt: „Ein echtes Kölsch-Mädchen.“) macht Buchhaltung
Übrigens: Irgendwann erhielt Wilfried Voigt von einem anonymen Absender DDR-Unterlagen zugeschickt, in denen es um das Enteignungsverfahren für den Hof der Voigts ging. Der zuständige DDR-Beamte war damals erstaunlich genau. Er gab auch die exakte Größe des Hofes an: 99, 96 Hektar und nicht jene 100,18, die Kurt und Werner Voigt 1953 ins Zuchthaus brachten. (mz)
