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Zachow Stadtteilserie 7 Zachow Stadtteilserie 7: Lutherplatz/Thüringer Bahnhof

Von JESSICA QUICK 29.08.2012, 13:20
Im Viertel Lutherplatz/Thüringer Bahnhof sind Industriebrachen Vergangenheit.
Im Viertel Lutherplatz/Thüringer Bahnhof sind Industriebrachen Vergangenheit. Andreas Löffler Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Im Zuge der Industrialisierung entstanden hier die Maschinenfabrik „Wegelin & Hübner“, die Malzfabrik „Reinicke und Co.“ oder die Kaffeesurrogatfabrik „Franck & Söhne“ – um nur einige zu nennen. Alteingesessene Anwohner erinnern sich noch heute an den Duft von Kaff ee oder Tee. „Die ,Teebude’ stand direkt bei uns um die Ecke“, erzählt Fritz Wilhelm aus der Nauestraße. „Irgendwann hat das Gebäude ,Krüger’ saniert, seitdem steht es leer.“ Der 72-Jährige blättert in einem dicken Album, in dem er allerlei Zeitungsausschnitte und Fotos vom Viertel bewahrt.

Auf einem Bild ist der ehemalige VEB Karosseriewerke in der Merseburgerstraße zu sehen. ,Wir Karosseriebauer kämpfen und arbeiten für Frieden und Wohlstand’ ist über dem Eingangstor zu lesen. Links daneben hängt ein Bild von Otto Grotewohl, rechts Wilhelm Pieck. „Hier wurde der Wartburg- Tourist gebaut. Heute sind da McFit und das Justizzentrum“, sagt Wilhelm. Auch Erhard Berlet, den wir an der Lutherstraße treffen, kann sich noch an die Zeit der Industriewerke erinnern. Der 73-Jährige prüfte damals den Kesseldruck der Dampflok, welche über die Schmalspurbahn das Material für die Fabriken lieferte. „Wenn die Lok vom Thüringer Bahnhof über den Lutherplatz tuckerte, wurde die Straße gesperrt und alle mussten warten, bis sie in Schrittgeschwindigkeit mit ihrem einen Wagen durch war“, erinnert sich Berlet lächelnd.

Vom Bahnhof zum Park

Das Geburtsjahr des Thüringer Bahnhofs war 1864. Die auf hohem Niveau produzierte Ware „made in Halle“ wurde von hier aus ins Land transportiert. Nach der Wende hatte der Bahnhof durch die Schließung der meisten Betriebe seine Funktion verloren. Spazieren, Spielen oder Radfahren stehen hier heute auf dem Plan, denn Anfang dieses Jahrtausends wurde aus dem grauen Industrie- ein grünes Erholungsgebiet mit Kirschbaum-Allee, Kletterfelsen, Beachvolleyballplatz und Skateranlage. Der Clou sind allerdings die „blühenden Gleise“: Die historische Bahntrasse, die sich im Original vom Thüringer Bahnhof bis zum Sophienhafen auf der Saline-Insel erstreckt, ist zu einem beliebten Rad- und Fußweg geworden. „Ich komme mit dem Fahrrad jetzt bis zur Burg Giebichenstein, ohne eine Hauptstraße benutzen zu müssen“, freut sich Berlet. Der pensionierte Eisenbahner ist wenn nicht auf dem Drahtesel häufig im „Treffpunkt Lutherplatz“ zu finden. Mit dem ersten Begegnungszentrum, welches von einer Wohnungsgesellschaft gestützt wird, hat der „Bauverein Halle & Leuna“ Maßstäbe gesetzt. Hier wird Karten gespielt, Kuchen nach Rezept der Einwohner gebacken, es gibt Lesungen, Konzerte, Sport und vieles mehr. Das Angebot bestimmen die Menschen am Lutherplatz, der Raum und die finanziellen Mittel kommen vom Bauverein.

Wohnungsvergabe von oben geregelt

1927 bis 1929 entstanden im andreaskreuzförmigen Grundriss westlich der Merseburgerstraße die vom Architekt Wilhelm Freise entworfenen 3-4-geschossigen Putzbauten mit den markanten Dreieck-Erkern, Stufengiebeln und Art-Deco-Elementen. Zwei Jahre zuvor wurde aus der Reithalle an der Lauchstädter Straße das Lichtspielhaus Capitol, welches nach einjährigem Leerlauf vergangenen Monat vom Kabarett „Die Kiebitzensteiner“ wiederbelebt wurde. Ursprünglich für die höheren Beamten der Bahn und Post gedacht, war das Viertel am damaligen Stadtrand sehr beliebt, sodass um 1933 die NSDAP bei der Wohnungsvergabe mitmischte und nach „erbgesund“ und „politisch einwandfrei“ sortierte. Eigentlich war geplant, die Anlage auf der anderen Seite des Lutherplatzes zu spiegeln, doch dann kam der Krieg. Und mit ihm die Not. Der damalige „Bauverein für Kleinwohnungen“ erlaubte den Mietern die Nutzung der Innenhöfe zur Eigenversorgung. „Jeder bekam ein Stück Acker zum Anbau von Kartoffeln und für die Haltung von Kleintieren“, erklärt Katrin Ullrich vom „Bauverein Halle & Leuna“. Karla Sparfeld erinnert sich, von ihren Schwiegereltern gehört zu haben, dass ein Flieger eine Bombe über der Zachowstraße abgeworfen hatte, mit der er wahrscheinlich den Bahnhof treffen sollte. Feststeht, dass 1945 zwischen Merseburger- und Beethovenstraße 1066 Wohnungen durch Bomben beschädigt wurden.

Wasserturm Süd war für Stasi wichtig

Den Mittelpunkt des Lutherplatzes bildet unweit vom Franziskanerkloster mit der Pfarrgemeinde zur Heiligsten Dreieinigkeit der Wasserturm Süd, welcher mit seinen knapp 47 Metern zu den höchsten Punkten der Stadt gehört. Bis in die 70er Jahre konnte man das Panorama Halles über eine Aussichtsplattform am Turm bestaunen oder sich in einem kleinen Café eine Pause gönnen, später wurde das technische Denkmal für den Publikumsverkehr gesperrt. Angeblich wegen der Einsicht in militärische Gebäude. „Mittlerweile weiß man“, so Fritz Günther, „dass die Staatssicherheit ihre Funkantennen auf dem Turm positionierte.“ Der Vereinsvorsitzende der „Wassertürme der Stadt Halle“ organisiert heute wieder Veranstaltungen im Wasserturm, welcher mit seinem Druckausgleichsbehälter noch immer der Versorgung der Stadt dient. Derzeit werden im Turm die Niederdruckbehälter neu eingebaut, um sie für die Bevölkerung begehbar zu machen. Das Adventssingen finde am 18. Dezember trotzdem wie gewohnt um 15 Uhr statt, bestätigt Günther.

Von Schornsteinen geprägt: Vorn rauchten die der Ofenheizungen, hinten die der Fabriken. Die heutige Hundewiese war noch Baustelle.
Von Schornsteinen geprägt: Vorn rauchten die der Ofenheizungen, hinten die der Fabriken. Die heutige Hundewiese war noch Baustelle.
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