1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Zachow Stadtteilserie 3: Zachow Stadtteilserie 3: Kröllwitz

Zachow Stadtteilserie 3 Zachow Stadtteilserie 3: Kröllwitz

Von CORNELIA HENNERSDORF UND JESSICA QUICK 29.08.2012, 10:54
Kröllwitz ist in Halles Norden Rückzugsort und Ausflugsziel zugleich.
Kröllwitz ist in Halles Norden Rückzugsort und Ausflugsziel zugleich. Cornelia Hennersdorf Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Vor allem Maler hatten und haben die Idylle an der Saale für sich entdeckt: Albert Ebert, einer der bedeutendsten naiven Künstler der damaligen DDR, lebte nach dem zweiten Weltkrieg in der Talstraße. Nach Carl Adolf Senff (Biedermeierzeit) und Wilhelm von Kügelgen (Portrait- und Hofmaler von Ballenstedt) wurden sogar Straßen in Kröllwitz benannt. Bis heute profitieren Maler wie Moritz Götze, Ehepaar Rataiczyk oder ihr Sohn Matthias vom kreativen Ambiente, das mit dem Skulpturengarten des Kunstvereins oder „Kunst und Keramik im alten Fischerhaus“ rund um die Talstraße zu spüren ist.

Einstiges Fischerdorf mit Fährbetrieb

Ursprünglich war der heutige Stadtteil, der sich von der Saale entlang der Gartenanlagen an der Äußeren Lettiner Straße bis zur Endhaltestelle der Straßenbahn Nr. 7 erstreckt, ein sorbisches Fischerdorf. Erstmals erwähnt wurde „Crolewiz“ 1291. Neben der Fischerei ist die Papierproduktion ein wesentlicher Aspekt der Stadtteilhistorie. 1714 wurde an der Saale eine Papiermühle gebaut, die vier Jahre später Johann Christian Keferstein pachtete. Er stellte Papier für die Druckerei und Buchhandlung des Waisenhauses von August Hermann Francke, dem späteren Eigentümer, her. Über fünf Generationen bis 1871 blieb die Mühle unter Kefersteinscher Regie.

Der Versuch, gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Sulfatverfahren für die Herstellung einzusetzen, hatte eine hohe Luftverschmutzung zur Folge. „Es cröllwitzt“, sagten die Leute, wenn der beißende Geruch aus der Mühle über die Saale wehte. Zunehmend protestierten die Bewohner gegen den Gestank bis die Produktion 1940 eingestellt wurde. Heute ist die Papiermühle zur Ruine verkommen – die Luft und das Wasser sind dafür wieder sauber. Touristen finden über den Saaleradwanderweg ins Viertel und sind verblüff t von dessen üppig-grüner Schönheit. „Ich liebe den südländischen Charakter hier“, schwärmt Rataiczyk, der in der ehemaligen Kefersteinvilla in der Talstraße wohnt. „Wie bei uns an der Mosel“, soll selbst Klaus Peter Rauen, ehemaliger Oberbürgermeister von Halle, einst erstaunt gesagt haben als er in Rataiczyks Felsengarten hinter dem Haus stand und über die mediterranen Hartlaubgewächse auf die Saale blickte.

Eine halbe Million Mark für nichts

In den fünfziger Jahren hatte die Stadt große Pläne für Kröllwitz. Curt Barth projektierte damals die Pädagogische Hochschule, in der sich heute die Institute der Geschichte und Kunstgeschichte befinden. Außerdem begann man auf dem Gelände hinter der heutigen Sporthalle am Brandbergweg, ein riesiges Stadion zu bauen. „Die Tribünen waren schon fertig, und eine halbe Million Mark investiert, als man das Projekt stoppte und nach Leipzig verlegte“, berichtet Barth. Noch heute kann man hier Reste des Stadions sehen. Auf einer Bank vor der Sporthalle treff en wir Marianne Meyer. Täglich geht sie hier spazieren. Mit ihren 77 Jahren beurteilt sie ihre Wohngegend vor allem pragmatisch: „Ich habe alles, was ich brauche: Den Supermarkt im Haus und die Straßenbahn davor“, erzählt uns die Rentnerin.

Ärger im Kiez

Fast alle scheinen zufrieden. Wenn da nicht die Baumaßnahmen an der Grundschule neben der Petruskirche wären. Anwohner sind auf die Barrikaden gegangen, als für den Neubau des Hortgebäudes Bäume geopfert werden sollten. „Immer mehr Grünanlagen, die zum Teil mehr als hundert Jahre alt sind, werden zugebaut“, kritisiert Annegret Brandt. Großen Ärger gab es auch, als die Straße „An der Petruskirche“ für das neue Gesundheitszentrum umbenannt werden sollte. In der Fuchsbergstraße treffen wir Bernd Wolff beim Unkrautjäten. Seit elf Jahren wohnt der 64-Jährige hier. Man kenne sich untereinander. „Nur an den großen Autos sieht man, dass die Schickeria zugezogen ist“, sagt er und zeigt auf einen schwarzen Mercedes auf der anderen Straßenseite. Der Wohlstand sei in Kröllwitz eingezogen. Wer das nötige Kleingeld habe, baue sich hier ein Eigenheim, sagt Wolff.

Schade. Künstler, die wie im Pariser Stadtteil Montmartre mit ihren Leinwänden und Ölfarben auf einem gepflasterten Marktplatz sitzen, sehen wir in Kröllwitz nicht. Doch sind wir sicher: Hinter den Mauern in den privaten Gärten entsteht gerade ein neues Kunstwerk. Vielleicht eine Kindergeschichte von Juliane Blech oder ein neuer Krimi von Peter Godazgar. Vielleicht setzt Matthias Rataiczyk gerade zum letzten Pinselstrich an. Wir wissen es nicht. Doch spätestens zur nächsten Ausstellung oder Lesung werden wir darüber staunen können.

Als die Kröllwitzbrücke noch aus Holz war, konnten man direkt in die Talstraße gehen.
Als die Kröllwitzbrücke noch aus Holz war, konnten man direkt in die Talstraße gehen.
Rataiczyk Lizenz