Universität Halle Universität Halle: Telemann-Kantaten ans Licht geholt

Halle (Saale) - Mit Musikstücken aus anderen Jahrhunderten ist das so eine Sache. Manche einst außerordentlich populäre Werke geraten irgendwann in Vergessenheit und schlummern Jahrzehnte, manchmal auch weitaus mehr als ein- oder zweihundert Jahre in Archiven.
Sechs Studierende der Musikwissenschaft um Wolfgang Hirschmann, Professor für Historische Musikwissenschaft an der halleschen Uni, haben im Rahmen eines von Hirschmann geleiteten Seminars Werke von Georg Philipp Telemann wieder ans Licht geholt und sie für die heutige Zeit neu erschlossen.
Eigentlich sollten drei der Werke erstaufgeführt werden
Eigentlich sollten drei der Werke in diesem Frühjahr durch den Kammerchor des Universitätschors „Johann Friedrich Reichardt“ und das Händelfestspielorchester erstaufgeführt werden. Es waren vier Konzerte an vier Orten der mitteldeutschen Bundesländer geplant. Doch nun hat das neuartige Corona-Virus einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Die Telemann-Festtage in Magdeburg, wo die erste Aufführung Mitte März stattfinden sollte, wurden komplett abgesagt, ebenso wie die Thüringer Bachwochen. „Das für Mitte April geplante Konzert in Halle wurde vorerst auf den 30. Juni verschoben. Das Bachfest in Leipzig wurde abgesagt. Der Unichor-Chef Jens Lorenz bedauert die Situation sehr. Gemeinsam mit dem Händelfestspielorchester habe man bereits sehr viel Arbeit investiert.
Um welche Werke handelt es sich konkret?
Doch um welche Werke handelt es sich konkret? Georg Philipp Telemann (1681-1767) und der für ihn „beste Poet in geistlichen Sachen“, der Theologe und Poet Erdmann Neumeister (1671-1756), stehen in besonderer Weise für das Modell Kirchenkantate. Gemeinsam gaben sie den Jahrgang „Geistliches Singen und Spielen“ heraus.
„Das war eine Art Katalog oder Musterbuch: Jede Kantate bietet eine eigene individuelle Lösung der Aufgabe, biblische Sprüche, Gemeindelieder, Arien und Rezitative so miteinander zu verbinden, dass eine affektvolle und geistlich-erbauliche Ausdeutung der Evangelien-Lesung des jeweiligen Sonn- oder Festtages entsteht“, erklärt der Musikwissenschaftler Wolfgang Hirschmann.
Das „Geistliche Singen und Spielen“ entstand in Telemanns Zeit
Das „Geistliche Singen und Spielen“ entstand in Telemanns Zeit als Kapellmeister am Eisenacher Hof. Dort komponierte der Barockmeister und brachte die Kantaten im Kirchenjahr 1710/11 in der Eisenacher Georgenkirche zur Erstaufführung. Das „Geistliche Singen und Spielen“ verbreitete sich über das ganze protestantische Deutschland hinweg und wurde bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein musiziert.
Die Originalpartituren liegen im Archiv in Frankfurt/Main. Sie seien sehr schwer zu entziffern, sagt Hirschmann. Für die angehenden Musikwissenschaftler sei das Telemann-Projekt von besonderem Wert, weil es durch die Erschließung alter Musik Berufschancen eröffnet, aber zugleich auch eine Verbindung mit der musikalischen Praxis.
„Die Musiken sind keine Konzertstücke, sondern für den Gottesdienst gedacht"
Für eine Neuaufführung hatte sich der Kammerchor des Unichors drei der aufgearbeiteten Kantaten angenommen und sie in den vergangenen Wochen einstudiert. Universitätschor-Chef Lorenz schwärmt von dem Projekt: „Die Musiken sind keine Konzertstücke, sondern für den Gottesdienst gedacht. Aber sie sind richtige kleine musikalische Edelsteine und so unglaublich hörenswert.“
Professor Hirschmann stellt in Aussicht, dass die Gesamtausgabe des Jahrgangs „Geistliches Singen und Spielen“ mit über 60 Werken demnächst in der Telemann-Edition des Bärenreiter Verlages erscheinen wird. „Wenn alles klappt, wird sie 2021 vorliegen“, so Hirschmann. (mz)