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Totenmaske von Martin Luther Totenmaske von Martin Luther: Ist Wachsabguss in Halle (Saale) authentisch oder nicht?

Von Günter Kowa 03.03.2017, 07:30
Die Totenmaske von Martin Luther in der Marktkirche
Die Totenmaske von Martin Luther in der Marktkirche dpa

Halle (Saale) - Im Reformationsjahr 2017 gehört Luthers Totenmaske in jedes Sightseeing-Programm von Halle als Lutherstadt. Doch es gibt erhebliche Zweifel daran, ob das wächserne Antlitz nebst zwei wie abgehackt wirkenden Händen tatsächlich aus der Sterbenacht des Reformators stammt.

Am Mittwochabend ist auch die Berliner Kunsthistorikerin und Kuratorin Uta Kornmeier in einem Vortrag in der Marienbibliothek merklich von einem Standpunkt abgerückt, den sie vor gut 16 Jahren in einem wissenschaftlichen Aufsatz vertrat – nämlich dass es „denkbar“ sei, „dass die Abgüsse von Luthers Gesicht und Händen noch vor der Einsargung veranlasst wurden.“

Skizze von Reformator Martin Luther auf dem Totenbett angefertigt

Und zwar, wie sie sagt, von dem in der Sterbenacht anwesenden halleschen Prediger Justus Jonas, der den aus Halle angereisten Maler Lukas Furtenagel mit einem „Erinnerungsporträt“ beauftragt haben könnte. Dieser hat die Skizze von Luther auf dem Totenbett angefertigt, die später in der Cranach-Werkstatt in Wittenberg für zahlreiche Porträts des „Toten Luther“ verwendet wurde. Jonas und Furtenagel, so Kornmeier, seien mit der Praxis der Totenmaske vertraut gewesen.

Die Abhandlung hatte sichtlich Einfluss auf die Erläuterungen, die auf den Tafeln im 2006 eröffneten „Kleinen Museum“ der Marienkirche zu lesen sind, der Seitenkapelle unter dem Nordwestturm der einstigen Ratskirche. Im Dämmerlicht ist neben den auf purpurnem Samt ausgelegten Schaustücken zu lesen: „In der Werkstatt Furtenagels in Halle wurde aus dem Gipsabdruck ein Wachsabguss als Totenmaske Luthers hergestellt. Sie gelangte in den Besitz des Justus Jonas. Er überließ sie der Marktkirche.“ Dem sind gedruckte Führer und touristische Webseiten im Wesentlichen gefolgt.

Berichte von der Sterbenacht Martin Luthers des 18. Februar 1546 erwähnen keine Totenmaske

Was bei Kornmeier durchaus noch im Konjunktiv dargestellt ist, hat sich auf diese Weise zu „wissenschaftlicher“ Tatsachenbehauptung verdichtet. Aber 2011 hat der damalige Kurator des Eisleber Luther-Sterbehauses und heutige Direktor des Lutherhauses Eisenach, Jochen Birkenmeier, im „Luther-Jahrbuch“ darauf hingewiesen, dass die zahlreichen und sehr ausführlichen Berichte von der Sterbenacht des 18. Februar 1546 eine Totenmaske nirgends erwähnen und auch die lokale Tradition selbst noch Jahrhunderte danach nichts davon weiß. Frau Kornmeier hat in der Diskussion im Anschluss an ihren Vortrag diesen Einwand auch als sehr erheblich eingeräumt.

Die Frage, ob Halles „Luther-Totenmaske“ echt, oder genauer gesagt authentisch ist, wird sich mit letzter Sicherheit nicht lösen lassen. Aber wenn auch das Schweigen der historischen Quellen eher gegen die Vermutung spricht, so bleibt das geisterhafte Antlitz doch ein Gegenstand der Kulturgeschichte. Und um den drehte sich auch der Hauptteil des Vortrags.

Auch die Protestanten konnten sich für diese Art des Totenkultes erwärmen

Die Maske ungewissen Ursprungs wurde nämlich irgendwann in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Gipsabguss in jene „Effigie“ eingefügt, die in Halle Furore machte bis zu ihrem Ende bald nach 1932. Mehrere Kupferstiche und zuletzt eine Fotografie aus dem Jahr 1917 dokumentieren die Figur des über die Bibel gebeugten, früher aber wohl zum Betrachter blickenden „gelehrten Luthers“. Die „lebensechte“ Holzkonstruktion mit übergeworfenem Mantel, Doktorhut auf dem Kopf sowie Glasaugen und Augenbrauen in der Gipsmaske lockte Scharen von Besuchern in die Marienbibliothek, später in die Sakristei der Marktkirche.

Dieser Umgang mit einem „leibhaftigen“ Luther spiegelt die im 17. Jahrhundert aufblühende Leidenschaft für Wachsfiguren: Sie zierten Westminster Abbey und andere bedeutende Kirchen zum Totengedächtnis gekrönter Häupter und wurden bald auch zum massentauglichen Gaudi – in Amsterdam, Paris und London öffneten Wachsfigurenkabinette zu großem Zulauf. Auch die Protestanten konnten sich für diese Art des Totenkultes erwärmen, nachdem auch Gustav Adolf an vielen Orten als Wachsfigur aufgestellt wurde.

Martin Luthers sogenannte Totenmaske aus Halle (Saale) muss nicht aus dem Blick verschwinden

Aber sie hätten Luther sicher nicht gern als Gottesmann dargestellt gesehen. In Halle zeigte ihn seine Sitzfigur daher als Gelehrten in der Bibliothek. Als er zu Anfang noch aufrecht saß und den Betrachter direkt anblickte, bezog er ihn sozusagen in seine Sphäre mit ein. Die über das Buch gebeugte Darstellung dagegen entrückte ihn eher, machte ihn unnahbar.

Luthers sogenannte Totenmaske muss also nicht aus dem Blick verschwinden, sondern gehört als Kulturgeschichte erzählt. Auch mit ihren Schattenseiten, die in der gegenwärtigen Darstellung in der Marienkirche als solche nicht zu erkennen sind. So gehört der „wissenschaftliche“ Versuch des Mediziners und Prähistorikers Hans Hahne von 1926, den Abguss zu „korrigieren“ und auf die Ur-Totenmaske zurück zu „restaurieren“, eher in die Geschichte der „Rassenkunde“.

„Die Marktkirche hat zur Zeit ganz andere Sorgen“

Hans Hahne war Direktor des Provinzialmuseums in Halle, des heutigen Landesmuseums für Vorgeschichte, und beabsichtigte, das Luther-Antlitz dort in seine Galerie „germanischer Idealtypen“ einzureihen. Unter anderen Vorzeichen hat es die sogenannte Totenmaske bis heute geschafft, zu „Wiederbelebungsversuchen“ anzuregen, so in der Computersimulation „Luther 3D“ vom Landesarchäologen Harald Meller und seinen Kollegen.

Anwesende Vertreter der Marktkirchengemeinde äußerten in der Diskussion Verständnis dafür, dass die jetzige museale Präsentation unbefriedigend ist und die Auskünfte nicht wissenschaftlich vertretbar sind. Ob aber Änderungen in absehbarer Zeit, gar noch im Lutherjahr, möglich sind, muss wohl bezweifelt werden. „Die Marktkirche hat zur Zeit ganz andere Sorgen“, war zu hören - zum Beispiel mit der dringlichen Restaurierung des Gewölbes, und auch die Neubesetzung der Pfarrstelle steht an. (mz)

Diese „Luther-Effigie“, die den Reformator in der Bibel lesend darstellt, war früher in der Marienbibliothek zu sehen (Aufnahme von 1917).
Diese „Luther-Effigie“, die den Reformator in der Bibel lesend darstellt, war früher in der Marienbibliothek zu sehen (Aufnahme von 1917).
Klaus Goeltz