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Philippe Mariotti Tod eines französischen Soldaten in Halle: Was passierte am 22. März 1984 wirklich?

Der französische Soldat Philippe Mariotti starb am 22. März 1984 in Halle (Saale) - unter mysteriösen Umständen. Was ist damals in der DDR passiert? 

Von Peter Holz Aktualisiert: 22.03.2024, 17:32
Tödlicher Stopp vor der Kaserne in Halle-Lettin. Bild des Unfalls am 22. März 1984
Tödlicher Stopp vor der Kaserne in Halle-Lettin. Bild des Unfalls am 22. März 1984 Foto: Alliierten Museum Berlin

Halle (Saale) - Philippe Mariotti war am 22. März 1984 um 7.55 Uhr vom Potsdamer Grundstück der französischen Militärmission aufgebrochen. Im Mercedes saßen noch der Offizier Staub und der Unteroffizier Blancheton. Ziel war die Kaserne "Otto Brosowski" (heute Dorothea Erxleben).

Die 11. Motorisierte Schützendivision der NVA sollte Ende März an einer Übung mit sowjetischen und polnischen Streitkräften teilnehmen. Die französische Mission war turnusmäßig dran mit der Heeresbeobachtung in dieser Region. Aber Philippe Mariotti und sein Team wurden schon erwartet.

Philippe Mariotti starb 1984 in einem halleschen Straßengraben.
Philippe Mariotti starb 1984 in einem halleschen Straßengraben.
Foto: Alliierten Museum Berlin

Tod eines Soldaten in Halle: Militär-Lkw bereitgestellt

"Paul Schmidt", der zuständige Mann beim MfS Halle, hatte die Falle gründlich vorbereitet. Der entsprechende Operationsplan für seine Abteilung "Abwehr" lautete, "die Angehörigen der westlichen Militärmissionen an der Aufklärung des NVA-Objektes zu hindern bzw. offensiv zu stören und bei Missachtung der ihnen auferlegten Pflichten (Sperrschildmissachtung) ihr Kfz zu blockieren."

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So waren an mehreren Stellen in der Nordstraße Militärlastzüge bereitgestellt. Die MfS-Leute, NVA-Uniformen tragend, gaben als Beifahrer die Befehle. Philippe Mariotti war es gelungen, über Nebenstraßen und Feldwege an die Kaserne heranzufahren, ohne ein Verbotsschild zu passieren.

Soldaten-Tod in Halle: Am Kasernenhaupttor verfolgte ihn der erste Lkw

Am Haupttor der Kaserne verfolgte ihn der erste Lkw. Mariotti beschleunigt, fährt Richtung Halle. Da kommt ihm aus der Dölauer Straße ein weiterer Militär-Lkw entgegen. Obwohl nicht vorfahrtberechtigt, fährt er ohne Stopp auf die Nordstraße. Es kommt zum Crash. Oberstabsfeldwebel Mariotti stirbt.

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Da es wie ein Unfall aussehen muss, wird die Polizei gerufen. "Paul Schmidt", als Beifahrer in NVA-Kluft im Lkw, den ein 20-jähriger Gefreiter steuert, diktiert die Lesart: Das Missionsteam hat durch eine "Schlängelfahrt" den Lkw zu Ausweichmanövern gezwungen. Das erkläre auch, dass er sich auf der anderen Fahrbahnseite befand.

Gedenkstein für Philippe Mariotti in Halle am 22.3.2017
Gedenkstein für Philippe Mariotti in Halle am 22.3.2017
Foto: Wolfgang Kupke

Alliierten Museum rekonstruierte den Todesfall von Halle

Die Protokollanten haken nicht nach, vermerkt Matthias Heisig 2004 vom Alliierten Museum, der den Fall anhand der MfS-Akten rekonstruiert hat. Warum verringert der Lkw angesichts der angeblichen Schlängelfahrt auf gerader Straße nicht die Geschwindigkeit? Zeugt das Querstehen des Lkw nicht von einer abrupten Lenkbewegung?

Mariotti ist tot. Der Wagen vollkommen zertrümmert. Staub und Blancheton stehen unter Schock. Die MfS-Männer, noch vor Feuerwehr, Verkehrspolizei und Krankenwagen am Unfallort, entnehmen Filmmaterial, Karten, Kompass und Diktiergerät.

Oberkommandierender übermittelte "aufrichtiges Beileid" nach Soldaten-Tod in Halle

Als sich der Oberbefehlshaber der französischen Truppen beim sowjetischen Oberkommandierenden beschwert, übermittelt dieser sein "aufrichtiges Beileid", beruft sich aber auf die verfälschende Version des Hergangs. Und außerdem hätte sich das Team ja gesetzwidrig verhalten, indem es Durchfahrtverbotsschilder missachtete. Die angekündigten Untersuchungsergebnisse werden nie vorgelegt. Ein Thema für die Presse - auch die französische - ist es nicht.

Später wird das Material auch der Sohn Mariottis, Jean-Michel, in die Hände bekommen - damals 20 wie der Lkw-Fahrer. Auch der hält sich an die Version, den Zusammenstoß nicht gewollt zu haben. Er behauptet sogar, der Missionsfahrer "sei sicherlich betrunken gewesen".

"Ich hatte damals keine Ahnung, welch Risiko diese Arbeit bedeutete. Für mich war die Militärmission nur ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Sowjets. Ich wusste nicht, dass der Kalte Krieg auch heiß sein konnte", so Jean-Michel 2004.

Dieser Text erschien bereits am 22. März 2004 in der Mitteldeutschen Zeitung.