Tanzbar Palette: Tanzbar Palette in Halle (Saale): Wo schon Opa Oma knutschte

Halle (Saale) - Eine dicke Wolke aus Schweißgeruch, Zigarettenqualm oder Effektnebel mit Aroma – normalerweise riecht es in Diskos immer mindestens nach einem davon. In der Palette in Halle riecht es nach Rucola. Es ist After-Work-Party, deshalb steht gleich am Eingang ein Buffet. Bunter Reis, Soljanka, Tomate-Mozzarella.

Eine Handvoll Gäste isst Nudelsalate. Ich sehe zum ersten Mal ein Buffet in einem Club. Überhaupt ist die Palette für Hallenser bereits seit über 60 Jahren ein Ort der ersten Male. Erster Cuba Libre, erstes Mal Ausweis-Zeigen, als Erster auf die Tanzfläche. Noch heute ist das Disko-Urgestein für viele Zugezogene die erste Anlaufstelle für das erste Delirium in Halle.

Wir essen nichts, damit die Soljanka nachher nicht beim Tanzen im Magen schwappt. Ein paar Treppenstufen höher wird klar, dass wir jede Menge Zeit hätten, um einen Verdauungsspaziergang einzulegen. Hier tanzt niemand. Genau genommen ist kaum jemand da. „Kommt noch, 22 Uhr geht es richtig los“, sagt eine Mitarbeiterin im Vorbeigehen.

Dann eben an die Bar! Die ist schließlich für Zeitsprünge zuständig. Dort bedient Vanni. Sie macht das schon ein paar Jahre, hat an der Garderobe angefangen und sich hochgearbeitet, erzählt sie. Dann sagt sie noch was, aber wir verstehen nichts mehr. Der DJ dreht die Lautstärke hoch. Ab jetzt für den Rest des Abends unterbrechen Bässe jede Unterhaltung im Sekundentakt.

Vanni kennt sich jedenfalls bestens hinterm Tresen aus, greift ohne hinzusehen nach Flaschen und pickt Eiswürfel aus einem Eimer. Nach fünf Handgriffen stehen zwei perfekte Drinks vor uns. Warum auch immer - es fühlt sich in Clubs und auf Festivals irgendwie besser an, wenn man ein Getränk in der Hand hält, während man ziellos umherstreunt.

An der großen Bar halten sich ein paar Gäste am Tresen ihre Bierflaschen fest und gucken viel zu oft auf die Uhr. Doch kaum hatten wir uns mal zehn Minuten in eine Unterhaltung vertieft, steht eine Schlange an der Garderobe.

Schlag 22 Uhr war das Haus voll, genau wie angekündigt. Kaum sind die dicken Jacken runter, offenbart sich dann auch, wie generationsübergreifend die Palette wirklich ist. Nicht, weil hier auch Mittvierziger mit Longdrink und E-Zigarette umherziehen, sondern weil die Schar so ziemlich jede Feierepoche der letzten Jahre abbildet: Bauchfrei mit viel Haarspray, kleine Hüfttasche und Spaghettitop, Alltagsklamotte mit vielen Ketten und Goldtattoo im Nacken.

Glitzernde Frauengruppen tanzen in Kreisen. An der dunklen Wand stehen Muskelmänner, die sich gegenseitig an den verschwitzten Nacken zueinander ziehen, um sich Witze ins Ohr zu grölen. Ein Anfang 20er mit verwaschener Jeans nickt seinem Kumpel vor, welche Tänzerin ihm gefällt. Sein Freund steht breitbeinig daneben, nickt mit und nippt am Flaschenbier. Gegen 23 Uhr haben die Wände ihre Magnetwirkung endgültig verloren.

Jeder Bass schüttelt mehr Gäste von den Wänden auf die Tanzfläche. Alles bewegt sich. Da sind die Hüftschwinger, die Stampfer, die Armschlängler und die Fußwipper - schwarze Silhouetten unter einem bunt beleuchteten Nebel. „I know you want it, I know you want it“ - Blurred Lines, Sean Paul, Nelly. Der DJ packt kopfnickend einen Charthit nach dem anderen aus den letzten zehn Jahre drauf. Immer wenn ein neues Lied beginnt, lehnen sich irgendwo Mädels nach hinten und kreischen. Der Raum ist voll, die Gäste auch.

Immer kurz vorm Refrain dreht sich die Masse zum DJ, hebt die Hände und singt noch lauter gegen die Bässe an. Stunden geht das so. Die Zeit fliegt, es ist das genaue Gegenteil des kaugummizerrigen Wartens vor 22 Uhr. Vanni muss sich nach Mitternacht immer weiter über ihre Bar beugen. Ein kahlrasierter Mann schreit ihr, weit nach vorn gelehnt, seine Bestellung entgegen. Vanni fliegen kleine Spucketropfen entgegen, sie kneift die Augen zusammen. Egal, Drinks mixt sie auch blind. (mz)