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Fantasialand am Stadtrand Station Endlos in Halle: Fantasialand am Stadtrand organisiert illegale Partys

Von Steffen Könau 13.01.2017, 12:27

Halle (Saale) - Es geht die Treppe im Hinterhaus hoch, Dörte Jacobi leuchtet mit dem Handy den Weg. „Wir haben schon Strom“, sagt sie, „aber das kommt alles vom Vorderhaus.“ Die Verlängerungskabel schlängeln sich wie heruntergefallene Girlanden durchs Hauptquartier des Kunstvereins Diemitz, das in einem Zimmer zwischen Bauschutt und DDR-Tapete residiert.

Provisorisch, sagt Johannes Schumann, ein junger Mann mit Hipster-Bart, der hauptberuflich als Feldwebel bei der Bundeswehr arbeitet. Nebenher ist Schumann Vorsitzender beim Kunstverein. Und „Kapitän“ der Mannschaft von Station Endlos, einer früheren Polstermöbelfabrik am Stadtrand von Halle, in deren aufgegebener Werkhalle zum Leidwesen von Anwohnern und alteingesessenen Diskothekern angesagte Partys stattfinden. Hier spielen Untergrund-DJs Musik abseits des Mainstream, während die Gäste durch einen Märchenwald an selbstgebauten Kunstinstallationen tanzen.

Ein Aufreger für Anwohner, die im Sommer von enervierenden Beats durch die Wochenend-Nächte begleitet werden. Und ein Aufreger für etablierte Diskothekenbesitzer, von denen zwar niemand öffentlich etwas gegen die Station Endlos-Macher sagen will. Doch dass eine im Internet aktive „Interessengruppe gegen illegale Gastronomie in Halle“ (IgiG) ihre Mitglieder unter den Betreibern klassischer Diskotheken findet, ist naheliegend.

Station Endlos ist kein „Konkurrent zu Schorre und Palette“

Selbst für Johannes Schumann, der das Angebot seiner Station am Stadtrand „überhaupt nicht als Konkurrent zu Schorre und Palette sieht“. Programm und Publikum der Endlos-Veranstaltungen seien eher alternativ, der Ansatz mehr sozio-kulturell als kommerziell, versichert auch Dörte Jacobi, die Politik studiert, in der Satire-Partei „Die Partei“ aktiv ist und viele der anderen Aktiven im Kunstverein und bei der Station aus der gemeinsamen Zeit in der Waldorf-Schule kennt. „Wir wollen kein Geld damit verdienen“, sagt sie, „was wir einnehmen, fließt wieder ins Projekt“.

Das kann sich inzwischen sehen lassen. Wo zu DDR-Zeiten zuletzt die Produktionsstrecke eines Pharmaherstellers war, blüht heute ein kunterbuntes Wunderland aus Theaterkulissen, Graffiti-Malereien, fantasievoll zusammengeschraubten Holzkulissen und Pappmaché-Marmor. Die verfallene Immobilie, nach der Wende von Johannes Schumanns Vater übernommen und später an den Sohn weitergegeben, ist ein Fantasia-Land für Nachtschwärmer geworden, das eine magische Anziehungskraft zu haben scheint.

Obwohl nur in den sozialen Netzwerken für die Veranstaltungen geworben wird, die Johannes Schumann etwas verdruckst als „Treffen von Freunden“ bezeichnet, kommen Besucher aus Leipzig, Magdeburg und Berlin, um zu tanzen, zu trinken und zu feiern. Hunderte pilgern zu den vor allem bei Facebook angekündigten Terminen nach Halle-Ost, der schmale Zufahrtsweg zur Station Endlos ist von Dutzenden Autos und unzähligen Fahrrädern zugeparkt. Selbst morgens um halb vier steht noch eine Schlange vor dem Einlass, die trotz der verlangten zwölf Euro Eintritt nicht kürzer wird. Taxis bringen neue Gäste und nehmen die mit, die nicht mehr können. „Bei diesen Partys bekommt die Frühschicht meist auch noch Arbeit ab, weil viele erst nach acht Uhr morgens gehen“, beschreibt ein Fahrer.

„Es ging ja ganz klein mit einer Grillparty los“

Der Erfolg, den das Künstler-Kollektiv vor allem eigenen DJs wie Casimir von Oettingen, Electronic Elephant, Pablo Cucci und Von Statten verdankt, überrascht selbst Kapitän Johannes Schumann. „Es ging ja ganz klein mit einer Grillparty los“, beschreibt er die Anfänge von Sachsen-Anhalts angesagtestem Klub. Nach und nach seien immer mehr Leute dazugekommen und „wir haben das ganze Gelände entrümpelt“. Alle arbeiteten ehrenamtlich, alle brächten Ideen ein und feierten eben auch zusammen, „ohne dass wir da ein öffentliches Halligalli machen“, wie Schumann formuliert. „Wenn wir dann mal eine Geburtstagsfeier haben, rammelt ganz Halle hin und es steht eine 50-Meter-Schlange am Einlass.“

Dabei sei alles rein privat und die Einnahmen aus den Veranstaltungen würden nur zum weiteren Ausbau des Geländes gebraucht. „In den Aufbau stecken wir alles, was wir im Sommer als Bühnenbauer auf Festivals einspielen.“

Den Kritikern von der IgiG aber ist das egal. Hier werde „unter dem Deckmantel eines ,Kulturvereins eine Großraumdisco mit Außengelände’ betrieben“, heißt es in einem Schreiben, das unter anderem an Rathaus, Polizei, Zoll und einzelne Parteien in Halle ging. Dabei finde sich in der Station Endlos „so viel Holzdekoration als Brandbeschleuniger“, „dass jeder legale Betreiber sechsstellige Beträge ausgeben müsste, um den Sicherheitsauflagen gerecht zu werden“.

Die Konkurrenz ist sauer, stinksauer sogar

Die Konkurrenz ist sauer, stinksauer sogar. Dabei sehen sich Jacobi, Schumann und ihre Leute gar nicht als Mitbewerber um die Nachtschwärmer. „Das Schorre-Publikum besteht für uns aus ganz stupiden Discogängern, wir machen ja was ganz anderes“, erklärt Schumann. Station Endlos stehe für Eigenbau-Mentalität, für Kreativität und Mitmachen statt gute Laune nur zu konsumieren. „Wir wollen uns nicht kommerzialisieren, aber professionalisieren.“

Sachsen Anhalts „größte und bundesweit bekannteste illegale Diskothek“ (Igig) könne ungeachtet ihrer Illegalität seit Monaten beinahe im Wochentakt Veranstaltungen durchführen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. „Man muss scheinbar nur einen ,Kulturverein’ gründen, um sich als kommerzieller Diskothekenbetreiber illegal betätigen zu können, da man dann anscheinend von der Stadt nicht mehr überprüft wird.“

Eine Reaktion auf die Klage gab es nicht. Tobias Teschner, Leiter des Fachbereiches Sicherheit der Stadt Halle, weiß allerdings schon seit Sommer 2014 von den Aktivitäten im Osten der Stadt. „Zwei Veranstaltungen wurden im Vorfeld bekannt und untersagt“, erklärt der Sicherheitschef des Rathauses. Im Nachgang zu anderen Partys habe es zwei direkte Beschwerden gegeben, „darüber hinaus zahlreiche anonyme Hinweise“, aber „der Einladung der Stadt zu einem Gespräch ist der anonyme Hinweisgeber bislang nicht gefolgt“, sagt Teschner, der auch selbst schon eine Veranstaltung kontrolliert hat, zu der sich etwa 50 Gäste eingefunden hatten. Johannes Schumann hat eigens wegen der Nachbarn Lautstärkemessungen durchgeführt. „Und da waren wir immer im zulässigen Limit.“

„Die Nutzung als Diskothek wurde untersagt“

Die Haltung der Stadt zur Station ist trotzdem eindeutig. „Die Nutzung als Diskothek wurde untersagt“, erklärt Tobias Teschner. Eine entsprechende Verfügung gelte seit Juli 2015. „Verstöße dagegen werden unmittelbar mit einem Bußgeld geahndet, gegebenenfalls wird ein Zwangsgeld erhoben und aktuelle Veranstaltungen werden untersagt.“ Wie oft das schon geschehen ist? Eben jene zweimal. Wie viele Bußgelder verhängt wurden? „Keine“, heißt es aus dem Rathaus, das offiziell keine Kenntnis darüber hat, dass die Station Endlos allein seit November fünf Veranstaltungen durchgeführt hat.

Veranstaltungen, die die Stadt bereichern, wie selbst die Taxifahrer sagen. Veranstaltungen, die gerade deshalb so gut und erfolgreich sind, weil sie eben nicht so professionell wie anderswo ablaufen, wie Stammgäste schwören.

Auf längere Sicht sollen sie das aber werden, auch mit Hilfe des Geldes, das durch Veranstaltungen reinkommt. Dörte Jacobi schildert die großen Pläne, die die Endlos-Mannschaft hat. „Wir wollen ein Studio einrichten und ein Label gründen“, sagt sie. Johannes Schumann ergänzt: „Wir haben erfahrene Bühnenbauer, wir haben eine Designerin, Feuerkünstler, wir haben eine Werkstatt, bei uns kann man sich in allen möglichen Sparten ausprobieren - wir üben aber noch ein bisschen.“ Am liebsten wäre ihnen, „wenn die, die was zu kritisieren haben, direkt zu uns kämen“, sagt Schumann. „Man kann doch über alles reden.“  (mz)

Direkt zur Seite der Station:www.wp.station-endlos.de

Station Endlos bei Facebook: https://www.facebook.com/StationEndlos