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Stasi-Akte Genscher Stasi-Akte Genscher: Warum Standesbeamtin aus Halle plötzlich nicht mehr trauen durfte

Von Silvia Zöller 13.03.2018, 06:00
Brigitte Panitz 1983 im Trauzimmer des Stadthauses
Brigitte Panitz 1983 im Trauzimmer des Stadthauses Krötgen

Halle (Saale) - Brigitte Panitz hat in der Vorwoche einen MZ-Beitrag über die Stasi-Akten von Hans-Dietrich Genscher mit besonderen Augen gelesen: Die heute 62-Jährige war diejenige hallesche Standesbeamtin, die im Mai 1982 Verwandte des Außenministers nicht trauen durfte. „Am Donnerstag durfte ich noch Ehen schließen, einen Tag später nicht mehr“, berichtet sie. Warum, wurde ihr nicht gesagt.

Aber die Antwort lag für sie auf der Hand: Denn ihre Nachbarn - die Verwandten Genschers aus Lieskau - hatten sie eine Weile vorher gefragt, ob sie die Trauung durchführt und auch bekanntgegeben, dass ihr Cousin, Hans-Dietrich Genscher, auch zu der Hochzeit eingeladen ist. „Schließlich hatten wir viele Gespräche über den Gartenzaun geführt und konnten uns gut leiden“, sagt Brigitte Panitz.

Hochzeit der Genscher-Verwandtschaft: Parteisekretär ersetzt Standesbeamtin

Statt Panitz, die damalige Leiterin des Standesamts, wurde jedoch von heute auf morgen nicht etwa eine andere Standesbeamtin, sondern ein Parteisekretär von der Stasi eingesetzt, erinnert sich die Rentnerin. „Ich dufte diese Ehe nicht schließen. Irgendjemand war darauf gestoßen, wer das Brautpaar war. Dann ging die Maschinerie los.“

Dennoch war sie neugierig und fuhr auf den Marktplatz. Eines hatte sie zuvor noch verhindern können: dass die DDR-Flagge gehisst wird. „Ich hatte zu diesen Überlegungen angemerkt, dass Genscher als Privatperson hier ist und nicht als Staatsmann“, berichtet Brigitte Panitz aus ihren Erinnerungen. Mit dieser Bemerkung sei sie angeeckt.

Hochzeit mit Hans-Dietrich Genscher: 200 Personen auf dem Markt

Der Marktplatz war an diesem Tag voll, erinnert sie sich: „Es fiel auf, dass überall Stasileute herumliefen. Selbst am Ratshof waren sie an vielen Fenstern zu sehen.“ Jeder habe so gewusst, dass etwas Besonderes los war. Daher erkläre sich auch, was in den Akten der Staatssicherheit zu diesem Tag nachzulesen ist: „Vor dem Stadthaus auf dem Markt hielten sich zur Ankunft des Brautpaares mit ihren Gästen ca. 15 Personen auf, die sich bis zum Verlassen auf ca 200 Personen erhöhte, meistens Schaulustige, die sich bei solchen Anlässen in diesem Rahmen immer zusammenfinden.“

Obwohl Genscher von einzelnen Hallensern erkannt worden war, „kam es zu keinen Vorkommnissen“, man begrüßte Genscher nicht und sprach ihn auch nicht an. Weder an der Hochzeitsfeier in der Lieskauer „Friedenseiche“ noch an dem Polterabend zuvor hatte Brigitte Panitz teilgenommen, auch wenn sie mit dem Brautpaar ganz gut bekannt war. „Als Mitarbeiter des Staatsapparates durfte man keinen Kontakt zum kapitalistischen Westen haben“, erklärt sie. Und dass Genscher an den beiden Feiern teilnimmt, war ihr ja bekannt.

Hans-Dietrich Genscher zu Gast in Lieskau

Aber auch ansonsten sei es kein Geheimnis in Lieskau gewesen, wenn der westdeutsche Außenminister in dem kleinen Saalekreisort zu Gast war. Nicht nur an dem Mercedes mit Bonner Kennzeichen habe man das sehen können, vielmehr wegen der vielen Stasi-Mitarbeiter, die dann gut sichtbar vor Ort waren.

Doch auch wenn Brigitte Panitz in diesem Fall von höherer Stelle kein Vorwurf gemacht werden konnte, sollte sie ab 1983 Ärger bekommen. „Meine Schwester ist in diesem Jahr nach Österreich ausgewandert“, erklärt sie. Aus diesem Grund wurde Brigitte Panitz mehrfach verhört und aufgefordert, sich ganz von ihrer Schwester loszusagen. „Das wollte ich nicht“, sagt sie. 1987 musste Brigitte Panitz, die nie Mitglied der SED war, gehen; sie durfte nicht mehr als Standesbeamtin arbeiten. Heute, so berichtet sie, gilt sie deswegen offiziell als Verfolgte des DDR-Regimes.

Jüngste Standesbeamtin der DDR durfte keine Ehen mehr schließen

Dabei war der Beruf ihr Leben gewesen. Mehrere Tausend Ehen, so schätzt sie, hatte sie im Stadthaus geschlossen. Besonders stolz war sie darauf, dass sie damals die jüngste Standesbeamtin der DDR war. 1975 hatte sie zunächst in Dessau Paare getraut, seit März 1976 in Halle. Hierher war sie der Liebe wegen gekommen und heiratete einen Lieskauer. „Lieskau war zu DDR-Zeiten das schönste Dorf“, schwärmt sie heute noch. Vor allem die Dorffestspiele Lieskau seien etwas Besonderes gewesen: Händler aus der Tschechei und Ungarn hätten dann Waren feilgeboten, die es sonst selten zu kaufen gab wie Kristallgläser oder Keramik.

Auch wenn es damals bei den Trauungen Vorgaben gegeben habe - so sei immer zu erwähnen gewesen, dass die Ehe die kleinste Zelle der sozialistischen Gesellschaft ist - hatte Brigitte Panitz die Reden stets abgewandet. „Ich habe die Paare vorher über ihr Leben befragt und dementsprechend persönlichere Traureden verfasst“, erzählt sie. So hatte sie sich auch auf die Trauung der Genscher-Verwandten vorbereitet. Diese Rede durfte sie nie halten. Stattdessen - so der Bericht der Stasi - hob der eingesetzte Parteisekretär „insbesondere die Notwendigkeit des Kampfes und des Friedens auch im Interesse der Familien hervor.“ (mz)

Genscher 1976 in Halle
Genscher 1976 in Halle
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