Stadtteile für Halle Stadtteile für Halle: Neue Namen neue Liebe?

Halle (Saale) - Die Fragen waren lange lästig. Und sind es immer noch. Gerade Leute, die in kleineren Straßen, Gassen und „Schlippen“ vor allem im großflächig namenlosen halleschen Süden wohnen, können ein Lied davon singen. In jenen Gebieten, die vor rund hundert Jahren in rasender Geschwindigkeit, Viertel um Viertel auf die grüne Wiese geklotzt wurden - zwischen der einstigen Boomtown Halle und der größten Stadt im alten Saalkreis namens Ammendorf. Und atemlos schauten damals Stadthistoriker, Stadtschreiber & Co. zu - unfähig, die Resultate des rasanten Wachstums in passende Worte, sprich in Quartiersnamen zu fassen.
Seit aber klar ist, dass diese „weißen Flecken“ auf der Karte endlich verschwinden, haben viele Hallenser laut und deutlich aufgeatmet. Und sie hoffen nun, dass die neuen Namen die hallesche Identität stärken - auch in Form einer erneuerten Liebe zu jener kleinsten Form von Heimat, die der Berliner seinen „Kiez“ nennt: Seinen Kiez, den er höchstens dann verlässt, wenn’s mal gar nicht mehr anders geht.
Glauchas „Adel“ kommt zu Ehren
Bleiben wir in Halles Süden. „Wo Süden ist, da ist es schön“: Das gelte in der ganzen Welt, sagt Halles Weltreisen-Routinier Drehorgel-Rolf Becker, genannt D-Rolf. Seinerseits Kind des halleschen Südens, hatte er freilich immer Mühe, sich an bislang mehreren dortigen Adressen auch allgemeinverständlich zu „verorten“. Doch nun sollen auch ihm für seine hallesche Heimatgegend mit „Glaucha“, „Johannesviertel“, „Lutherviertel“, „Vogelweidensiedlung“, „Leuchtturmsiedlung“ und dem „Rosengarten“ gleich sechs zusätzliche Namen zur Verfügung stehen, die das Häusermeer zwischen Hochstraße und Silberhöhe geografisch angemessen strukturieren.
Nach einem langen Vorlauf soll das Konzept für die Benennungen von 17 neuen Stadtteilen nun dem Stadtparlament zur Entscheidung vorgelegt werden. Termin für Beratung und/oder Entscheidung ist der 24. Februar. Vielleicht also Zeit genug, um das eine oder andere Detail noch mal zu überlegen. Der für das Projekt zuständige städtische Beigeordnete für Bauen und Planen, Uwe Stäglin, sagt, es sei „das ausdrückliche Ziel“, dass sich auch „historische Quartiersnamen“ in den neuen Plänen wiederfinden“. Die neuen Namen sollen nun schnellstmöglich in die nächsten Stadtpläne eingepflegt werden. Großer Vorteil des Projekts: Es kostet quasi nichts. (dfa)
Mit Glaucha wird damit nun endlich eine Bezeichnung wieder „offiziell“, die auch Halles sprichwörtlichste Bevölkerungsgruppe benennt: den „Glauchschen Adel“. Denn was wäre so ein Adel ohne Namen?! Auch wenn es sich um einen Spottnamen handelt, der den als besonders derb geltenden Bewohnern des einst ärmsten Vororts von Halle von jeher anhängt. Namhaftester Vertreter des Glauchschen Adels ist - neben Margot Honecker, der einstigen Obererzieherin im ostdeutschen Arbeiter-Paradies - der Straßenmusiker Zither-Reinhold.
Der wohnte nur einen Steinwurf von Margot (geborene Feist) entfernt - in einem abgerissenen Viertel östliche der Glauchaer Straße, das mittlerweile zum Ödland verkommen ist. Doch besagter Reinhold, der einst auf nur wenigen noch vorhandenen Saiten seiner alten Zither ganzjährig Weihnachtslieder spielte, gehört nicht nur Glaucha, sondern der ganzen Stadt. Und die hat ihrem beliebtesten Stadtstreicher, der - ja sagen wir’s ruhig, auch ein Bettler war - auf dem Boulevard ein Denkmal gesetzt. Und vielleicht ist dieser grandiose Brunnen ja sogar das weltweit einzige Bettler-Denkmal!
Die Plastik steht an der Grenze zwischen dem Altstadt-Viertel und dem nun auch amtlich so benannten Charlottenviertel, dessen Namenspatin die vor über 300 Jahren auch für Halle zuständig gewesene Preußen-Königin Sophie Charlotte ist. Womit wir schon in Halles Mitte sind, wo stadteinwärts vom alten Giebichensteinviertel nun bald das Mühlwegviertel verzeichnet sein wird. Auch die attraktiven Quartiere, die wie eine Perlenkette um den „Hals“ der Altstadt herum liegen, bekommen ihre alten Namen bald auch offiziell neu: Halles berühmter Nachtimbiss „Don’t worry, be Curry“ liegt dann im „Neumarkt“-Viertel, und den lauschigsten Blick auf die Residenz und die Moritzburg gibt es demnächst von der „Klausvorstadt“ aus.
Ja, und dann kommt noch ein Kiez auf uns zu, dessen Benennung wohl doch Fragen aufwirft: Das Bebelviertel rund um den August-Bebel-Platz. Doch muss man dem am Rhein geborenen deutschen „Arbeiter-Kaiser“, an den sich heute fast nur noch Wikipedia erinnern kann, in Halle gleich eine der angesagtesten Gegenden widmen? Müsste es dann nicht auch ein „Bibelviertel“ geben - für die Franckeschen Stiftungen samt dem Canstein-Bibelzentrum?
Schließlich haben vor allem die in Halle gedruckten Bibeln, die Franckes Missionare einst in der ganzen Welt verteilt haben, dem Namen der Stadt das verschafft, wonach sie nun schon so lange so vergeblich lechzt - nämlich Weltgeltung. Doch die Stiftungen gehören auch künftig weder zum Johannesviertel noch zu Glaucha, sondern zu einer größeren Einheit, die es parallel auch weiterhin gibt: zur „Südlichen Innenstadt“. Und natürlich auch zu Halles „gefühltem Welterbe“.
Dorf darf wieder Dorf heißen
Besonders charmant an den neuen Namen ist aber dies: Auch in der Großstadt Halle darf Dorf nun wieder Dorf sein und heißen. Beispiel Passendorf, das Dörfchen, das wie eine Nussschale im Ozean des Neustädter Betons schwimmt - als kleine Idylle. Und auch Granau, das von den Schweden im Dreißigjährigen Krieg geschleifte Örtchen unterhalb jener halleschen Wetterscheide namens Granauer Berg: Wenigstens als Reminiszenz feiert es auf Halles künftigen Landkarten ein Comeback. So etwas nennt man Geschichtsbewusstsein!
Und - hier schließt sich nun der Kreis - Zukunftshoffnung samt Stolz auf den Wissenschaftsstandort Halle schwingt im neuen Viertelnamen Weinberg-Campus mit. Doch vielleicht muss der Bindestrich samt „Campus“ hier gar nicht zwingend auf den Stadtplan. Denn wo Studenten lernen und leben, wäre ein Name wie „Fröhlicher Weinberg“ angemessener. (mz)