1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. "Smart Mirror": "Smart Mirror": So will eine Firma aus Halle das Wohnen intelligenter machen

"Smart Mirror" "Smart Mirror": So will eine Firma aus Halle das Wohnen intelligenter machen

Von Julius Lukas 08.09.2018, 10:00
Die Notizzettel hat sich Gordon Böhme nicht auf seinen Pullover geklebt. Sein intelligenter Spiegel zeigt sie an.
Die Notizzettel hat sich Gordon Böhme nicht auf seinen Pullover geklebt. Sein intelligenter Spiegel zeigt sie an. Julius Lukas

Halle (Saale) - Ganz so wie im Märchen funktioniert es dann doch nicht: Wenn Gordon Böhme seinem Spiegel die stiefmütterlichen Frage stellt: „Spieglein, Spieglein an der Wand“, dann wird ihm nicht Schneewittchen oder eben die Schönste im ganzen Land gezeigt. Er bekommt - wie für einen Spiegel typisch - sich selbst zu sehen. Allerdings gesellen sich auf der glänzenden Oberfläche zu seinem Ebenbild noch viele weitere Dinge. Dort steht etwa, wie das Wetter wird, die neuesten Nachrichten erscheinen auf dem Glas ebenso wie Notizzettel, die man zuvor geschrieben hat.

Böhmes Spiegel ist - das wird schnell klar - ein ziemlich intelligenter Spiegel. Im Englischen wird solch ein Accessoire als „Smart Mirror“ bezeichnet. Und den pfiffigen Einrichtungsgegenstand, in den Gordon Böhme gerade blickt, hat er mitentwickelt.

Die Firma, die Böhme mit zwei Freunden vor gut eineinhalb Jahren gründete, heißt Glancr (gesprochen: Glänzer). Auch der Name entstammt dem Englischen: „at a glance“ bedeutet „auf einen Blick“. Das Start-up sitzt in Halle und Berlin. Böhme ist der Sachsen-Anhalt-Anteil im Team. „Die Idee hinter unserer Entwicklung ist“, sagt der 37-Jährige, „dass man in den Spiegel ohnehin jeden Tag schaut“. Deswegen könne man ihn doch gleich als Informationsquelle nutzen.

Eigenes Betriebssystem für den Spiegel programmiert

Böhmes Büro in Halle ist spartanisch eingerichtet . In der Mitte steht ein Kickertisch - Start-up-Atmosphäre eben. An der Wand hängt das aktuelle Spiegel-Modell. Der Glancr „Smart Mirror“ ist badezimmerspiegelgroß und in ein Aluminiumgehäuse integriert. „Das Glas ist halbdurchlässig - wie man es von Verhörräumen der Polizei kennt“, sagt Böhme. Hinter dem Glas ist ein Display montiert, auf dem alles dargestellt wird. Wetter, Uhrzeit und ein Nachrichten-Ticker sind vorinstalliert. „Das ist aber alles erweiterbar.“

Für ihren Spiegel haben Böhme und seine Mitgründer ein eigenes Betriebssystem programmiert. Wichtig sei ihnen dabei eine möglichst einfache Bedienung gewesen. Über eine grafische Oberfläche kann man am Computer bestimmen, was man auf dem Spiegel sehen möchte.

Per Wlan wird diese Auswahl dann übertragen. „Wir haben uns bewusst gegen eine Bedienung mit der Hand entschieden.“ Denn die Fingerabdrücke würden den Spiegel schnell verschmieren und ihn so seiner ursprünglichen Funktion berauben.

Stundenplan und Saunatemperatur

Da das Betriebssystem für jeden frei verfügbar ist, ist in den vergangenen Monaten eine kleine Entwicklergemeinschaft um den Glancr-Spiegel entstanden. „Menschen, die den Smart Mirror interessant finden, haben eigene Funktionen dafür programmiert.“ Einer habe zum Beispiel eine Anwendung geschrieben, mit der die aktuelle Tabelle der Fußball-Bundesliga auf dem Spiegel erscheint. Ein anderer lässt sich Essens- und Stundenpläne seiner Kinder anzeigen. Mit wenigen Klicks ist es auch möglich, den die Internet-Liveübertragung eines schwedischen Fjords im Spiegel zu sehen. Dann scheint plötzlich die nordische Sonne in die eigene Wohnung.

Es gibt lauter solcher verrückten Anwendungen. „Ein Nutzer hat ein Modul geschrieben, mit dem er sich die Temperatur seiner Sauna im Keller anzeigen lässt - damit er weiß, wann er runtergehen muss“, erzählt Böhme. Doch abseits solcher eher spielerischen Einsatzmöglichkeiten erweckte der Multifunktionsspiegel zuletzt auch bei Unternehmen und sogar in der Forschung Interesse.

So plant nach Böhmes Angaben eine große Wohnungsbaugenossenschaften in Halle, Glancr-Spiegel in ihre Wohnungen einzubauen. „Wenn die derzeit ihre Mieter über etwas informieren wollen, dann müssen die immer einen Brief schicken“, erklärt Böhme. Künftig soll das über den Smart Mirror geschehen - erste Tests dazu laufen bald an.

In einem früheren Stadium ist ein Projekt der Universität Leipzig. Die will den Spiegel nutzen, um Krankheiten wie etwa Depressionen frühzeitig zu erkennen. „Da geht es um Mimik-Detektion“, sagt Gordon Böhme. Anhand des Gesichtsausdrucks - so die Annahme - kann man nämlich auf bestimmte Erkrankungen schließen. Um das verlässlich tun zu können, braucht man aber sehr viele Gesichtsaufnahmen. „Und die könnte man mit dem Spiegel einfach sammeln, da die Testpersonen ja sowieso jeden Tag in ihn schauen.“ Allerdings müsste dazu eine Kamera eingebaut werden - die hat das Standardmodell derzeit nicht.

Spiegel soll rund 1.000 Euro kosten

Dieses Standardmodell wollen Böhme und seine Mitstreiter nun in einer Kleinserie auf den Markt bringen. Denn bisher musste jedes Exemplar per Hand gefertigt werden. „Wir sind jetzt ein Dreivierteljahr rumgefahren und haben Dienstleister gesucht, die uns Material liefern und den Spiegel zusammensetzen.“

Für ein Softwareunternehmen sei diese Beschäftigung mit der Hardware kompliziert gewesen. Hinzu kommt, dass er und seine Mitgründer Vollzeit-Jobs im Programmier- und Marketingbereich nachgehen - der Spiegel ist so etwas wie ihr Hobby. „Doch jetzt haben wir alles zusammen“, sagt Böhme. Eine Firma in Leipzig würde für sie eine Produktionslinie aufbauen. „Da das aber sehr teuer ist, suchen wir derzeit noch nach Geldgebern“, sagt Böhme. Allerdings: Nachdem sie angekündigt hatten, in Serie produzieren zu wollen, haben sich laut Böhme bereits etwa 4.500 Interessenten für den Spiegel gemeldet. Rund 1.000 Euro soll der kosten.

Schon jetzt denkt Gordon Böhme allerdings über die erste Glancr-Generation hinaus. Der Spiegel, so seine Vision, könnte das Zentrum einer vernetzen Wohnung werden. Er würde dann die Beleuchtung steuern und vom Kühlschrank gemeldet bekommen, wenn die Butter alle ist. „Und natürlich wäre künftig auch eine Sprachsteuerung des Spiegels denkbar“, sagt Böhme. Und dann würde man vielleicht sogar eine Antwort bekommen, auf die märchenhafte Frage: Spieglein, Spieglein an der Wand ...

Förderung vom Land und ein Spiegel Marke Eigenbau

Start-ups werden oft von jungen Unternehmern gegründet, die zwar eine Idee, aber wenig bis gar kein Eigenkapital haben. Zudem begeben sie sich oft auf ein wirtschaftliches Terrain, das noch kaum entwickelt ist und in dem sie deswegen zu Beginn noch kein Geld verdienen können. Deswegen brauchen sie für ihr Geschäftsvorhaben Unterstützung. Die kommt häufig von staatlichen Geldgebern, die mit Förderprogrammen die jungen Firmen unterstützen.

Das hallesche Start-up „Glancr“ von Gründer Gordon Böhme (Foto) bekommt durch ein Landesprogramm Unterstützung. Es wird von der Staatskanzlei als „Projekt zur Gestaltung des digitalen Wandels in Sachsen-Anhalt“ gefördert. Mit dieser Initiative sollen digitale Innovationen vorangetrieben werden. 2018 stehen dafür 3,68 Millionen Euro bereit. Von seiner Unterstützung bezahlt Glancr einen Programmierer, der derzeit das Betriebssystem des intelligenten Spiegels neu schreibt.

Wer einen intelligenten Spiegel haben möchte, der muss nicht warten, bis Glancr damit in Serienproduktion geht. Das Start-up hat auf seiner Website glancr.de eine Bauanleitung veröffentlich. Schritt für Schritt wird darin erklärt, wie man seinen eigenen Spiegel zusammensetzt. Alle erforderlichen Komponenten sind im Handel erhältlich. Das Betriebssystem kann man sich bei Glancr herunterladen. Die Kosten für den Standardspiegel Marke Eigenbau belaufen sich auf etwa 300 Euro.

Mehr Informationen zu Glancr und Informationen zum Spiegel unter: www.glancr.de.