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SEK-Alarm als übler Scherz SEK-Alarm als übler Scherz: Swatting - ein gefährlicher Trend kommt nach Halle

Von Jan Möbius 23.08.2015, 18:08
Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos in voller Montur: Erhalten sie den Befehl zu einem Zugriff, haben Straftäter kaum mehr eine Chance.
Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos in voller Montur: Erhalten sie den Befehl zu einem Zugriff, haben Straftäter kaum mehr eine Chance. dpa/Symbol Lizenz

Halle (Saale) - Denny Rimpl spricht mit zittriger Stimme. Auch nach fast einer Woche fällt es dem 36-Jährigen sichtlich schwer, über die dramatischen Minuten in der Nacht zum vergangenen Mittwoch zu sprechen. Polizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) hätten damals beinahe seine Wohnung in der südlichen Innenstadt von Halle gestürmt.

Wer ihm das SEK nach Hause geschickt hat, das weiß Rimpl noch nicht. „Jemand hat sich über das Internet bei meinem Handyanbieter gemeldet und sich als Denny Rimpl ausgegeben. Die Person gab an, sie hätte eine Geisel in ihrer Gewalt und drohte damit, diese zu töten, falls die Polizei eingreift“, berichtet der Hallenser.

Rimpl ahnte schnell, was in diesem Moment vor sich ging: Er war im Begriff, Opfer des sogenannten „Swatting“ zu werden. Einer üblen Masche aus den USA, bei der sich vor allem Computer-Spieler gegenseitig Spezialeinheiten der Polizei auf den Hals hetzen. Einziges Ziel: Der Einsatz kann live im Internet verfolgt werden.

Fans und Feinde im Netz

Denny Rimpl ist ein solcher Spieler. Er hat es sogar geschafft, mit seiner Leidenschaft sein Leben finanzieren zu können. Wenn er von abends bis tief in die Nacht vor seinem Computer sitzt, beobachten ihn andere Leute dabei. Eine kleine Kamera überträgt live ins Internet, wie und was Rimpl gerade spielt. Und nicht nur das: Der Hallenser erscheint in einem Fenster ebenfalls auf den Bildschirmen seiner Zuschauer.

Mehr als 2300 Fans weist allein die Facebook-Seite des gelernten IT-Kaufmanns aus. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Und so hat Denny Rimpl offenbar nicht nur Freunde im Internet. „In der letzten Zeit vor dem SEK-Einsatz haben irgendwelche Spaßvögel unter meinem Namen etliche Male Pizzen bestellt und zu mir schicken lassen.“ In allen Fällen erstattete er Anzeige gegen unbekannt.

Sie sind die Männer mit den Masken und Blendgranaten, die meistens als erste einen Tatort stürmen: Beamte der sogenannten Spezialeinsatzkommandos (SEK) befreien Geiseln, sie nehmen Bankräuber fest, überwältigen Amokläufer oder stürmen Wohnungen. Die Elite-Polizisten sind speziell ausgebildet, sie trainieren intensiv und sind auf Abruf zum Einsatz bereit. Deshalb gelten SEK-Beamte auch als Speerspitze der Fahnder gegen Gewaltkriminalität und Terrorismus.

Zur SEK-Ausbildung gehören Klettern, Einsätze auf Wasser- und Luftfahrzeugen, Observationstechnik sowie Fahr- und Sicherheitstraining. Die Zahl der SEK-Beamten in Deutschland wird aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht. Die Gründung der Spezialeinsatzkommandos war eine Reaktion auf die spektakulären Terroranschläge der 1970er Jahre. Viele SEK-Einsätze machen Schlagzeilen, die meisten finden jedoch in den Medien kaum Erwähnung.

In den USA heißen die Spezialeinheiten der Polizei SWAT. Die Abkürzung steht für „Special Weapons and Tactics“. Zu deutsch: spezielle Waffen und Taktiken. Daher stammt auch der Begriff „Swatting“ - also jemandem grundlos ein Spezialeinsatzkommando der Polizei nach Hause zu schicken.  (jam/dpa)

Offenbar haben diese Anzeigen dazu beigetragen, dass das SEK in der Nacht zum vergangenen Mittwoch nicht mit voller Härte die Wohnung von Denny Rimpl stürmte. „Einer der Beamten sagte mir unmissverständlich, dass die Pizza-Fälle der einzige Grund für die Zurückhaltung gewesen seien“, berichtet Rimpl. Der Einsatzleiter hatte sich nach Rücksprache mit dem Lage- und Führungszentrum der Polizei an der Merseburger Straße dazu entschieden, das SEK in Bereitschaft zu lassen. Die schwer bewaffneten Spezialbeamten warteten im Hausflur auf den Befehl „Zugriff!“.

„Unterdessen überzeugten sich zwei zivil gekleidete und zwei weitere uniformierte Polizisten mit schusssicheren Westen, dass meine Angaben stimmen und in meiner Wohnung niemand in Gefahr ist“, so Rimpl. Seine Frau sei vollkommen eingeschüchtert gewesen. „Mein fünf Jahre alter Sohn hat glücklicherweise nichts davon mitbekommen.“

Denny Rimpl hat nun Anzeige erstattet. Wieder gegen unbekannt. Der 36-Jährige geht aber davon aus, dass der oder die Auslöser des abstrusen SEK-Einsatzes nicht gefasst werden können. Wie aber konnten sie unter Rimpls Namen handeln und die Polizei zu solch schwerwiegenden Entscheidungen bringen? Rimpl meint, dass die Masche simpel sei: „Weil ich eine professionelle Internetseite betreibe, ist es relativ einfach, an meine Daten zu gelangen.“ Mail-Adresse, Telefonnummer, Adresse des Firmensitzes - in Rimpls Fall seine Wohnung - all das müsse er über ein Impressum auf seiner Seite veröffentlichen.

„Wer es darauf anlegt, wird über spezielle Seiten im Internet schnell jemanden finden, der einen SEK-Einsatz auslöst“, weiß der Hallenser. Die sogenannten „Swatter“ agieren über dunkle Kanäle, hinterlassen im Internet kaum Spuren. Den Aufruf in seinem Fall hat Rimpl sogar über eine einfache Suche bei Google gefunden.

Hinweise werden ernst genommen

Der Polizei in Halle sind Swatting-Fälle nicht fremd. Zumeist aber aus Berichten anderer Dienststellen. Denny Rimpl gehört zu einem der ersten Opfer in der Region. „Uns ist das Thema ,Swatting’ zwar bekannt. Häufiger beschäftigt waren wir bis dato damit aber nicht“, so Polizeisprecher Ralf Karlstedt gegenüber der MZ.

Im konkreten Fall ermittle man wegen des Verdachts auf Vortäuschen einer Straftat. Hinweise zu einem Verdächtigen gibt es aber, wie Denny Rimpl es geahnt hat, nicht. Karlstedt sagte, dass man Hinweise auf eine Geiselnahme oder Ähnliches nicht einfach ignorieren könne. „Es handelte sich zunächst um eine mögliche Bedrohungslage. Natürlich geht die Polizei solchen Hinweisen sehr sorgfältig nach und prüft deren Ernsthaftigkeit.“ Deshalb sei der Einsatz des SEK als mögliches Mittel in Erwägung gezogen worden.

Dass es weitere Fälle des „Swatting“ geben könnte, könne nicht ausgeschlossen werden. Was aber kann gegen diesen Trend unternommen werden? Nicht viel offenbar. „Grundsätzlich kann man nur dagegen vorgehen, wenn Straftaten bekannt werden. Dann unterliegt die Polizei dem Strafverfolgungszwang“, so Karlstedt.

Denny Rimpl an seinem Arbeitsplatz in seiner Wohnung. Eine Kamera überträgt ins Internet, was und wie der Hallenser gerade am Computer spielt. Auch der Polizeieinsatz sollte auf diesem Weg übertragen werden.
Denny Rimpl an seinem Arbeitsplatz in seiner Wohnung. Eine Kamera überträgt ins Internet, was und wie der Hallenser gerade am Computer spielt. Auch der Polizeieinsatz sollte auf diesem Weg übertragen werden.
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SEK-Beamte hatten sich bereits im Treppenaufgang des Wohnhauses postiert.
SEK-Beamte hatten sich bereits im Treppenaufgang des Wohnhauses postiert.
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