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Schweitzers Spur in Dieskau

Von KORNELIA PRIVENAU 07.06.2010, 15:42

KABELSKETAL/MZ. - Musikfreunde dürfen aufhorchen: In der Kirche Sankt Anna Dieskau (Gemeinde Kabelsketal) steht eine Organola, deren Papierrollen der berühmte Mediziner Albert Schweitzer bespielt hat. Gefunden hat die viele Jahre unbeachteten Kostbarkeiten der Pfarrer im Ruhestand, Günter Baumgarten, im Schutt des abgebrannten Kirchturms.

Das war schon 1987, erinnert sich Baumgarten. Doch er erkannte nicht sofort, welchen Schatz er da gefunden hatte. "Vorsichtig habe ich mit meinem Staubsauger das Papier gesäubert", erinnert er sich. Erst viel später, als die Orgel, die auch auf herkömmliche Weise gespielt werden kann, in der Kirche Sankt Anna aufgebrochen worden war, entdeckte er die Abspieltechnik. Flugs brachte der an Musik interessierte Theologe die 25 Papierrollen damit in Verbindung. Dieses "automatische Instrument" spielt wie von Geisterhand, erklärt er. Das Prinzip scheint ziemlich einfach, aber total genial: die gelblichen Papierrollen sind Lochstreifen. "Die Organola erklingt also durch das Abtasten dieser Lochkarten", sagt Baumgarten. Mit ein wenig Phantasie könnte man meinen: der Vorläufer des MP-3-Players.

Auch die Geschichte des Instruments liest sich wie ein Historienroman. "Eine Bach-Liebhaberin, die Bäckereimaschinen-Fabrikbesitzerin Herbst aus Halle, hat 1916 die Organola bei der Firma Walckers in Ludwigsburg bauen lassen", berichtet Baumgarten. Die Unternehmerin wollte das Instrument nicht für sich, sondern für ihre Beschäftigten. In der Mittagspause wurde die Organola in Gang gesetzt und Barockmusik erklang zur Erbauung der Arbeiter. 1931 verkaufte Frau Herbst für 6 500 Reichsmark die Orgel nach Dieskau, fand Pfarrer Baumgarten heraus. Die bisherige Orgel wurde durch ein Feuer zerstört.

Albert Schweitzer kam ins Spiel, als die Organola-Bauer Walckers die Idee hatten, den Mediziner fürs Spiel zu gewinnen. Schweitzer war studierter Philosoph, Theologe und Mediziner. 1913 hat er das legendäre Urwald-Hospital Lambarene im afrikanischen Gabun gegründet. Er spielte hervorragend Orgel und hatte sich als profunder Kenner der Werke von Johann Sebastian Bach einen Namen gemacht.

Der Überlieferung nach habe er zunächst auf die Bitte aus Ludwigsburg ablehnend reagiert. Baumgarten: "Als ihm die Walckers Geld für Lambarene versprachen, erfüllte er den Wunsch und spielte."

Die Orgel in Sankt Anna hat der Beesenstedter Restaurator Helmut Ebert repariert, auch die filigrane Abspieltechnik der Organola. Sehen und hören könne man sie bei Führungen durch die Kirche, so Baumgarten.

Die Führungen durch Schloss und Kirche Dieskau finden samstags und sonntags ab 14.45 Uhr statt.