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Roman Pliske Roman Pliske: «Das ist doch wirklich was!»

14.03.2012, 19:47

Halle (Saale)/MZ. - Saale, Marktplatz, Ochsenberg? Denkste! Gefragt nach einem Lieblingsort, den er für ein Gespräch über Halle wählen würde, antwortet Roman Pliske: der alte Schlachthof an der Freiimfelder Straße. Na, da sind wir aber mal gespannt! MZ-Redakteur Peter Godazgar traf sich dort mit dem Geschäftsführer des Mitteldeutschen Verlags (MDV), um mit ihm über die Schönheit alter Profanbauten zu sprechen und das seltsame Geschäft mit der Ware namens Buch.

Herr Pliske, wenn es irgendwann die Wahl des originellsten Lieblingorts für diese Serie gibt, dann haben Sie schon gewonnen.

Pliske: Aber das ist doch wirklich was! In Süddeutschland wäre das längst irgendeine Kulturscheune.

So spazieren die Wessis seit der Wende durch die neuen Länder: "Oh, wie pittoresk verfallen! Welch morbider Charme!"

Pliske: Stimmt schon. Aber ich sehe ja nicht nur den morbiden Charme, sondern vor allem das Potenzial. Und der Schlachthof hat ein Riesenpotenzial. Wenn man sieht, was Leipzig aus der alten Baumwollspinnerei gemacht hat, in der heute Künstlerateliers sind: So was wäre hier locker möglich. Durch die Burg Giebichenstein gibt es doch ein enormes Potenzial an Gründern, die gerne hierbleiben würden.

Bloß: Wer soll das bezahlen?

Pliske: Stadt und Land haben Millionen bezahlt für ein Multimediazentrum, das, wie wir wissen, uns auch noch über Jahre Millionen kosten wird - das hätte hier alles Platz gehabt. Stattdessen lässt man den Schlachthof einfach verfallen. Das finde ich schade.

Wie viel Aufwand damals getrieben wurde für solche Zweckbauten!

Pliske: Ja, die Kathedralen der Industrialisierung. Aber ich glaube, es gab damals einfach wenig Möglichkeiten, hässlich zu bauen. Einfach, weil es diese Leichtbauweise noch nicht gab. Ja, und wahrscheinlich hatten die Menschen noch einen anderen Stolz.

Was fasziniert Sie an solchen Orten?

Pliske: Ich muss zugeben: Das war für mich alles neu, als ich 2004 herkam. Ich bin in Heidelberg aufgewachsen, lebte dann in München und Berlin, zuletzt in Essen, aber selbst dort ist inzwischen aus jeder Zeche ein Designtempel geworden. Das ist einerseits schön, aber es fehlt auch der Raum für Fantasie. Dort ist halt alles fertig. Hier erlebe ich das, was man neudeutsch so schön als Transformationsgesellschaft bezeichnet.

Aber Sie haben schon Verständnis für diejenigen, die das lange genug gesehen haben und nicht mehr inspirierend finden.

Pliske: (lacht) Selbstverständlich. So ein Anblick stumpft auf Dauer natürlich ab. Und Rettung und Langeweile liegen auch ganz nah beieinander. Ich stelle mir gar nicht vor, dass ein Milliardär kommt und alles vergoldet. Ich bin sicher, da wäre auch mit weniger Geld was zu machen - und zwar so, dass der Zauber solcher Räume erhalten bleibt.

Was wussten Sie über Halle, als Sie 2004 den Geschäftsführer-Posten beim MDV annahmen?

Pliske: Ich wusste gar nichts. Nicht mal was Negatives. Man hat mich dann hier ein bisschen rumgeführt und ich dachte: Hier kann man bestimmt schön leben. Und an dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts geändert.

Wie wird man eigentlich Geschäftsführer eines Verlags?

Pliske: Ich hatte vorher für Zeitungen, Magazine und Zeitschriften gearbeitet. Die Liebe zum Buch gab es aber immer schon. Ich wusste nur nicht, wie ich sie umsetzen sollte. Und dann hab ich mich einfach beworben, als die Stelle ausgeschrieben war.

Klingt nach dem berühmten Sprung ins kalte Wasser.

Pliske: Ja, wahrscheinlich war das ein bisschen größenwahnsinnig. Mir war auch nicht klar, wie sehr der Verlag darniederlag. Aber das war natürlich auch eine Chance. Ich erinnere mich noch an meine erste Leipziger Buchmesse, 2005, mit dem ersten Programm, das ich mitgestaltet hatte. Ich betrachtete unseren MDV-Stand, da kamen zwei ältere Herren, guckten eine Weile, und dann sagte der eine: "Ist doch ein Jammer, was aus dem Verlag geworden ist."

Was haben Sie gedacht? "Mist" oder "Alles richtig gemacht"?

Pliske: Weder noch: Ich konnte die sogar verstehen! Der MDV war mal einer der wichtigsten Verlage in der DDR. 120 Mitarbeiter! Natürlich hat er an Bedeutung verloren, aber das, was war, kann man überhaupt nicht vergleichen mit dem, was ist. Inzwischen sind wir immerhin der größte unabhängige Verlag in Ostdeutschland, nachdem alle anderen geschluckt oder geschlossen worden sind. Den Verlagsort Berlin jetzt mal ausgenommen.

Im Vertrauen: Belächeln die Großen der Branche Sie bei der Buchmesse in Leipzig?

Pliske: Überhaupt nicht. Wirklich nicht. Und in Leipzig schon gar nicht. Das ist für die ganz Großen nicht wichtig. Nein, es gibt Neugier, und es entstehen immer wieder viele Kontakte. Die Branche ist eigentlich nicht so eitel.

Das Buchgeschäft hat aber schon etwas zunehmend Irreales. Fast 100 000 Neuerscheinungen gibt es pro Jahr, kleine Buchläden schließen - und in den großen Buchhandelsketten wird die Verkaufsfläche ständig reduziert zugunsten von Gummibärchen, Kaffeetassen und Plüschtieren.

Pliske: In der Tat, aber das betrifft eher die mittleren und großen Verlage. Dort herrscht ein völlig anderer Verkaufsdruck.

Es ist zu lesen, wer "Thalia-Buch des Monats" werden will, muss 50 000 Euro an die Buchhandelskette zahlen.

Pliske: Ja, das können nur die Platzhirsche. Wir haben stattdessen eine Vertriebsmitarbeiterin, die ganz klassisch mit dem Buchkoffer die Buchhändler besucht. Aber klar ist: Es werden weniger. Und dann ist für uns natürlich der Autor das Entscheidende. Und Fragen, wie: "Liest er gerne vor Publikum? Liest er gut?" Wenn man da eine kleine Lesereise planen kann, ist am Ende manchmal gleich eine ganze Auflage verkauft. Und es hat deutlich mehr Spaß gemacht.

Halles Literaturszene wirkt, sagen wir mal, etwas statisch. Was fehlt Ihnen?

Pliske: Ach je, ganz viel. Ich fürchte, da kreist vieles um sich selbst. Der Förderkreis der Schriftsteller wirkt auf mich eher wie ein Lese- und Diskutierzirkel. Er müsste aber stärker nach außen wirken, Öffentlichkeit schaffen. Das ist doch eigentlich ein Interessenverbund. Vielleicht bräuchten wir so was wie ein offenes Literaturhaus, das natürlich nicht in Schriftstellerhand liegen dürfte. Ich halte übrigens auch eine Art Performance-Weiterbildung für etwas sehr Wichtiges. Eine Lesung ist eine Verkaufsveranstaltung, sonst hat man als Autor nichts davon.

Was ist mit dem Stadtschreiber-Stipendium?

Pliske: Grundsätzlich ist das eine schöne Sache, aber die Stadt fängt viel zu wenig damit an. Derzeit gibt es da keinerlei Nachhaltigkeit. Es gibt eine Lesung und Schluss. Keine Publikation, nicht mal eine Seite im Internet. Von außen kann man auch keinen Autor einladen, was sehr spannend sein könnte, wenn zum Beispiel jemand eine Art hallesches Tagebuch schreiben würde. Andere Städte fordern da viel mehr. Ich glaube, das ist ein grundsätzliches Problem, vor dem der gesamte Kulturbereich steht: Wenn man ganz viele Sachen macht, kann man ganz vieles nicht richtig machen. Da würde ich lieber zehn Sachen streichen und mich um das Verbliebene intensiver kümmern.