Puppentheater Halle Puppentheater Halle: "1913" zeigt Dichter Diven Diktatoren

Halle (Saale) - Wehret den Anfängen! Vor allem dann, wenn es sich bereits um Anfänge im fortgeschrittenen Stadium handelt. Etwa so muss die Intention des Autors Florian Illies gelautet haben, als er vor Jahren sein Buch „1913 - Der Sommer des Jahrhunderts“ schrieb - schon im Blick auf das damals bevorstehende Hundert-Jahre-Gedenken zum Beginn des Ersten Weltkriegs.
Und dieser Tage liegen nun schon dieses Krieges blutigste Phasen hundert Jahre zurück - samt der kompletten Desillusionierung all derer, die 1914 in patriotischer Begeisterung in die Schlachten gezogen waren. Zudem hat sich die Weltlage im Vergleich zum Erscheinungsjahr des Buchs „1913“ dramatisch verschärft - verbales und tatsächliches Säbelrasseln und weltweiter Schlachtenlärm inklusive. Grund genug für Halles Puppentheater-Chef Christoph Werner, das welthistorische „Vorabend“-Lehrstück für die Bühne zu inszenieren (Premiere: 1. März 2016).
Interessant daran für Theaterfreunde ist wohl vor allem, wie sich die Dramen und wie sich explosive politische Situationen zunächst in den Köpfen und sogar in der Kultur zuspitzen können. Dafür waren im Buch die aus heutiger Sicht so faszinierenden Kulturszenen in Berlin und Wien in der späten Kaiserzeit die besten Beispiele.
Und aus dieser Umgebung rekrutiert sich dann auch jenes „Personal“, das Christoph Werner aus der Fülle des Buchmaterials für die Bühnenfassung ausgewählt hat. Es ist frei nach einem Romantitel ein Gruppenbild mit zwei Damen: Die sind die Dichterin Else Lasker-Schüler und Alma Mahler, die Vielfach-Muse und Gattin etlicher Kreativer ihrer Zeit.
Hinzukommen zwei Kaiser - Franz-Josef und Wilhelm -, zwei künftige Diktatoren, nämlich der Wien-Besucher Josef Stalin und der gerade vor dem Wehrdienst in Österreich fliehende Postkartenmaler Adolf Hitler. Und hinzukommen die Maler Ernst Ludwig Kirchner und Oskar Kokoschka (Alma Mahlers Geliebter), die Erzähler Thomas Mann und Franz Kafka, die Dichter Gottfried Benn und Rainer Maria Rilke sowie zwei große Weltversteher ihrer Zeit - Sigmund Freud als Begründer der Psychoanalyse und Oswald Spengler, der Autor des Buchs „Der Untergang des Abendlandes“.
Ja und nicht zu vergessen jener potenzielle Thronfolger namens Franz Ferdinand, der ein Jahr nach 1913 ermordet werden wird - als Auftakt für das Millionen-Gemetzel.
Die Relevanz des Themas und die oft erst spätere Welt-Bedeutung der Figuren war Anlass für eine charmante Aktion, wie es sie zumindest in Halle bislang noch nicht gegeben hat. Auslöser dafür sei aber eine oft gestellte Frage etlicher Freunde von Halles erfolgreichstem Theater gewesen - nämlich, ob die Puppen aus abgespielten Inszenierungen nicht auch irgendwann mal verkauft werden. Nein, wurden sie noch nie, bisher nicht.
Doch dafür jetzt! Und zwar schon lange vor der Premiere - und manche sogar schon ehe sie überhaupt gebaut sind. So etwa im Falle von Sigmund Freud. „Der war gleich zuerst weg“, sagt Louise Nowitzki, unter deren Händen derzeit in wochenlanger Arbeit all die Dichter, Diven und künftigen Diktatoren entstehen. Auch andere der 16 Figuren haben schon Liebhaber gefunden, die sich einen „Jahrhundertkopf“ für zu Hause sichern wollten: Den sie dem Theater aber erst noch für die Vorstellungen leihen müssen: Das ist der Deal. Und das ist zugleich Kunstförderung. (mz)
