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Polizeischüler stürzte in den Tod Polizeischüler aus Halle stürzte in den Tod: Warum musste Paul sterben?

Von Dirk Skrzypczak 24.10.2018, 10:45
Von diesem Balkon wollte Paul L. nach links zum Nachbarhaus klettern. Dabei stürzte er in den Tod.
Von diesem Balkon wollte Paul L. nach links zum Nachbarhaus klettern. Dabei stürzte er in den Tod. Silvio Kison

Halle (Saale) - Auch ein halbes Jahr nach dem tragischen Unglück ist Paul L. bei seiner Familie und Freunden präsent. Sie sprechen von dem 24-Jährigen in der Gegenwart, ganz so, also würde er im nächsten Augenblick durch die Tür marschieren.

Am 29. April war der Polizeischüler aus Halle von der Fassade einer Villa am Zoo zwölf Meter in die Tiefe gestürzt. Was wollte Paul L. in dem Haus? Diese Frage treibt die Angehörigen bis heute um. „Und ohne eine plausible Antwort kommen wir auch nicht zur Ruhe“, sagt einer der Freunde der MZ. Dass der 24-Jährige ein Einbrecher sein soll, ein Verbrecher, akzeptieren sie nicht. Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren noch nicht beendet.

Polizeischüler stürzte in den Tod: In der Unglücksnacht war er feiern

Die Polizei hat die Stunden vor dem Unglück rekonstruiert. Bis zum späten Nachmittag war Paul L. am 28. April bei seinem Bruder, um ihm beim Renovieren zu helfen. Am Abend traf er sich zunächst mit Freunden in der Stadt, später war er im Klub „Drushba“ in der Kardinal-Albrecht-Straße. Dem Personal fällt der Modellathlet auf, 1,92 Meter groß und 100 Kilo schwer. Eine Kraftmaschine.

Irgendwann nach 4 Uhr früh verlässt Paul den Club. Etwa 26 Minuten benötigt der Polizeischüler im dritten Ausbildungsjahr bis zum Zoo. Es ist der Weg nach Hause, zigmal ist ihn der Hallenser in seinem Leben schon gelaufen. Laut den Untersuchungen der Gerichtsmedizin hat er zu diesem Zeitpunkt etwa 1,7 Promille Alkohol im Blut. Der Drogentest ist negativ.

Einbruch in Haus: Es gibt keine Beweise dafür, dass Polizeischüler etwas stehlen wollte

„Warum der junge Mann dann in das fremde Haus eingedrungen ist, wissen wir nicht. Fakt ist, er war in dem Gebäude und ist, nachdem er von zwei Zeugen erwischt wurde, in das obere Stockwerk gelaufen“, sagt Staatsanwalt Klaus Wiechmann. Dort schlug er das Glas einer verschlossenen Tür ein, griff nach innen, schloss die Tür auf und kam so auch auf den Balkon.

An der Fassade wollte der 24-Jährige zum Nachbarhaus klettern. Er stürzte gegen 6 Uhr ab und in den Tod. Eine Bewohnerin hatte nach dem Unglück Strafanzeige wegen versuchten Diebstahls erstattet. Doch nach MZ-Informationen gibt es keine Beweise dafür, dass Paul L. etwas stehlen wollte.

Nach ersten Darstellungen soll er es auf einen Laptop abgesehen haben, danach war von einem Akkuschrauber die Rede. Doch die Kripo fand weder Fingerabdrücke noch DNA-Spuren, die das belegen würden. Die These vom Einbruchsdiebstahl sei damit vom Tisch, meinen Angehörige. Staatsanwalt Wiechmann bestätigt die Aussage. Da der Beschuldigte verstorben sei, habe man die Anzeige der Frau aber nicht weiterverfolgt.

Warum Freunde des Polizeischülers nicht an einen Einbruch glauben

Freunde glauben, dass Paul L. einen Grund hatte, in die Villa in direkter Nachbarschaft des alternativen Treffs Reil 78 zu gehen. „Vielleicht hat er etwas gehört oder jemand hat um Hilfe gerufen.“ Laut Aussage der beiden Zeugen, die im Schlafzimmer von dem 24-Jährigen überrascht worden waren, soll er sich eher untypisch für einen Einbrecher verhalten haben.

„Er wollte nichts stehlen, er wollte jemandem helfen“, meint ein Angehöriger. Waren doch mehrere Personen in dem Haus und nicht nur die beiden Zeugen? Die Ermittler jedenfalls gehen davon aus, dass Paul L. wohl Panik bekam und ins Obergeschoss stürmte - aus Angst, dass seine Karriere als Polizeischüler beendet sein könnte, wenn er erwischt wird. „Warum sollte er das tun? Die Zeugen konnten ihn gar nicht richtig beschreiben. Er hätte ganz normal das Haus verlassen können“, sagen Freunde. Erst nach 15 bis 30 Sekunden seien die Zeugen nämlich dem 24-Jährigen nachgelaufen. So stehe es in den Ermittlungsakten.

Eltern des getöteten Hallensers stellen eigene Nachforschungen an

„Es gibt nach wie vor keine Hinweise auf Fremdverschulden. Wir gehen nicht davon aus, dass der Polizeischüler in das Haus gelockt worden ist, um ihn dann umzubringen“, sagt Staatsanwalt Klaus Wiechmann. Die Eltern des getöteten Hallensers haben sich einen Anwalt genommen und stellen eigene Nachforschungen an.

Fragen und Ungereimtheiten, die sie sehen, landen bei Wiechmann auf dem Tisch. „Wir gehen den Hinweisen nach, vor allem im Sinne der Eltern. Es gibt nichts Schlimmeres, als das eigene Kind zu verlieren“, sagt der Staatsanwalt. Die Ermittlungen führt jetzt das Fachkommissariat für Gewaltstraftaten der Polizeidirektion Süd. Zuvor waren Kriminalisten des Polizeireviers in Halle mit dem Fall betraut. „Die Arbeit, die die Ermittler geleistet haben, ist völlig in Ordnung“, erklärt Wiechmann.

Tod von Polizeischüler: Fragen zum kaputten Handy bleiben offen

Und doch bleiben Fragen, wie die zum deformierten Handy des 24-Jährigen. Das Smartphone hatte Paul L. in der rechten vorderen Hosentasche, als er abstürzte und auf den Rücken fiel. So wie das Handy abgeknickt ist, passt es nicht zu dem Sturz. Was hat also zu dieser Art der Zerstörung geführt? Die Polizei hält es für denkbar, dass Paul auf seiner vermeintlichen Flucht in das Obergeschoss das Handy in der Hand hatte - die Taschenlampenfunktion war an -, stolperte und mit dem Telefon auf die Kante der Treppe stürzte.

Angehörige haben diese Möglichkeit mit einem vergleichbaren Handy nachgestellt - das Smartphone hielt der Wucht stand. War es vielleicht schon vorher kaputt?

„Vielleicht werden wir die Wahrheit nie erfahren. Es wird der Punkt kommen, an dem wir die Akte zuklappen werden. Hypothesen helfen uns nicht weiter. Es geht um Beweise“, sagt Staatsanwalt Wiechmann. Auch Pauls Angehörige und Freunde wünschen sich einen Schlussstrich, wie sie sagen. Vorher wollen sie wissen, was am 29. April wirklich passierte. Und hoffen auf Antworten. (mz)