Nietleben Nietleben: Dorf mit eigener Badewanne
Halle/MZ. - Fünf knappe Zeilen hatte Franz Knauth übrig: Nietleben sei "ein etwa eine Stunde westlich von Halle gelegenes Dorf, in dessen Nähe mehrere sehr ergiebige Braunkohlegruben sich befinden. Die Nagelfabrik des Herrn Schlegelmilch daselbst verdient ihrer eigenthümlichen Construction wegen besucht zu werden." Schluss, Aus, Ende.
So liest es sich im "Wegweiser durch Halle und seine Umgebungen", den der "Kustos zu St. Moritz und Lehrer an der Bürgerschule in den Franckeschen Stiftungen" im Jahr 1853 verfasst hatte. Ob er heute wohl mehr Worte übrig hätte? Vielleicht würde er ja staunen: Darüber, wie die Zeit an manchen Stellen scheinbar stehen geblieben ist. Und darüber, wie sehr sich das Gesamtbild doch verändert hat. Denn wer durch die Eislebener Straße geht, der sieht zwar überall Spuren alten dörflichen Lebens - er sieht aber auch, wenn er zur Seite blickt, die Wohnblocks von Neustadt: Wie eine Flutwelle scheinen sie sich auf die geduckten Häuser zu schieben, und einige sind bedrohlich nahe gekommen.
Überrollt haben sie Nietleben aber nicht - als hätte eine schützende Macht die Hochhäuser im letzten Moment aufgehalten. Was für ein Glück, schließlich gehört das Örtchen zu den ältesten Heidedörfern: Bereits im 5. Jahrhundert siedelten hier am Heiderand Menschen, fanden Heimathistoriker heraus; Nietleben sei zudem das einzige Heidedorf germanischen Ursprungs.
Hätte Franz Knauth seinen Wegweiser gut 30 Jahre später geschrieben, hätte er wenigstens ein weiteres Gebäude erwähnen müssen: die Nietlebener Kirche mit ihrem sternförmigen Gewölbe. Das 1886 erbaute Gotteshaus bietet immerhin 700 Plätze. Die Größe ist der Geschichte des Ortes geschuldet: Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Nietleben etwa 5 000 Menschen; sie arbeiteten im Bergbau und in einigen Industriebetrieben: etwa im Adler-Portland-Zementwerk. Dessen Schornsteine wurden in den 60er Jahren gesprengt; alte Nietlebener erinnern sich, dass der Abriss des Werks als Kulisse diente für den später verbotenen Film "Spur der Steine".
Und dann ist da ja noch die Gartenstadt Nietleben - ein Villenviertel, das sich unmittelbar am Heiderand versteckt. Von Neustadt ist dort nichts zu sehen. In den 20er Jahren wurden in der Gartenstadt die ersten Häuser gebaut; bei einem Spaziergang durch die Straßen, die Nachtigallensteig oder Drosselsang heißen, kann man viele verschiedene Baustile bewundern.
Dass das kleine Nietleben im Sommer eine große Anziehungskraft ausübt, liegt schließlich an der "ortseigenen Badewanne": Der Heidesee zieht seit Jahren viele Badefreunde an. Das Gewässer ist aus einem ehemaligen Tagebau-Restloch entstanden und wird mit einigem Aufwand rekultiviert.
1825 / 26 war man in Nietleben auf Braunkohle gestoßen. Nordwestlich des Dorfes wurde sie in drei Gruben abgebaut: "Charlotte", "Wilhelm" und "Neuglück" - an letztere erinnert heute noch ein Straßenzug am Ortsausgang: "Siedlung Neuglück".