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Neue Stadtteile Neue Stadtteile: Wo steht Halles Leuchtturm?

Von Nicolas Ottersbach 11.02.2016, 16:01
Gaststätte Zum Leuchtturm
Gaststätte Zum Leuchtturm Privat Lizenz

Halle (Saale) - Ein Leuchtturm im küstenlosen Halle? Und dann auch noch im ehemaligen Braunkohlegebiet an der Leipziger Chaussee? Was nach einer Legende klingt, ist die findige Idee eines Baumeisters, der es schon 1905 verstand, Aufmerksamkeit auf sein Geschäft zu ziehen. Jetzt soll dieser „Leuchtturm“ Namenspate für eines der 17 neuen halleschen Stadtviertel sein - obwohl er schon seit Jahrzehnten nicht mehr steht und die letzten Reste 2013 abgerissen wurden.

Klaus Jacobs (78) kann sich noch gut an die ehemalige Gastwirtschaft „Zum Leuchtturm“ erinnern, die zu seiner Familiengeschichte gehört. „Es war bei den Hallensern ein beliebtes Ausflugslokal, das tatsächlich ein kleines Türmchen auf dem Dach hatte“, erzählt der Senior, der als kleiner Junge oft im großen Garten des Hauses spielte - schließlich gehörte es seinem angeheirateten Onkel.

Doch schon lange zuvor, 1907, hatten Franz und Margarete Sonntag den Leuchtturm gekauft. Ihr Sohn Herbert, der als einziger von Dreien aus dem ersten Weltkrieg nach Hause kam, führte die Gaststätte mit Fremdenzimmern fort. „Mittwochs, Sonnabends und Sonntags war immer Tanz im Lokal, dann leuchtete auch der Turm mit seinen bunten Scheiben. Das war einzigartig“, erzählt Jacobs, dessen Großvater 1920 das gegenüberliegende Grundstück kaufte und dort den noch heute bestehenden Handwerksbetrieb „Maschinenbau Jacobs“ gründete. Klaus Jacobs Tante Ella heiratete Herbert Sonntag, der 1955 verstarb.

„Zu dieser Zeit war der Leuchtturm aber schon lange geschlossen“, sagt Jacobs. Das einst blühende Lokal, das nach und nach um eine Kegelbahn, einen Springbrunnen, einen Biergarten einer Konzertmuschel und sogar eine von Ziegen gezogenen Kutsche erweitert wurde, schloss die Familie zu Beginn des zweiten Weltkriegs. Die Nationalsozialisten bauten den Leuchtturm zum Arbeitslager um, erst für freiwillige ausländische Hilfsarbeiter, später für Kriegsgefangene. Im Garten errichteten sie Baracken, die Hotelküche wurde mit 300-Liter-Kesseln ausgestattet, um mehr als 500 Personen versorgen zu können.

„Sie bauten Kohle in der nahe gelegenen Grube Alwine ab“, erklärt Klaus Jacobs. Als dann die Engländer und Amerikaner ihre Bombardements begannen, legte man im Garten des Leuchtturms Luftschutzbunker an. Viel sicherer waren aber die Stollen, wie Ella Sonntag am 2. April 1945 in ihr Tagebuch schrieb: „9.25 Uhr fielen die ersten Bomben und so ging es weiter, immer kamen neue Wellen und bombardierten unsere arme Stadt. Wir saßen zusammengekauert in den Stollen und hatten die Kinder fest im Arm.“ Klaus Jacobs bezeichnet das als „dunkelstes Kapitel“ in der Familiengeschichte.

Zu DDR-Zeiten eröffnete die Familie Sonntag die Wirtschaft nicht mehr, stattdessen wurde eine Grundschule im Nebengebäude eröffnet. Die Mieteinnahmen waren so gering, dass sich das große Haus nicht mehr erhalten ließ. 1961 wurde der marode „Leuchtturm“ vom Dach gerissen und das gesamte Gelände an die Fischverarbeitung Dressler vermietet. Etwa 60 Mitarbeiter stellten von nun an Rollmöpse und Deli-Heringe her.

„Im Frühjahr 1990 schloss der volkseigene Betrieb wegen der BRD-Konkurrenz und eine Treuhandgesellschaft übernahm das Gelände“, erzählt Sohn Thomas Jacobs, der das Nachbargrundstück seines Maschinenbau-Betriebs damals erwerben wollte, aber vom Treuhänder keinen Zuschlag erhielt. Der neue Besitzer, der dort eine Shell-Tankstelle samt Bosch-Dienst etablieren wollte, ließ die Gaststätte aus Geldnot verfallen.

Schließlich erhielt die Familie Sonntag das Gelände zurück. Die vier Kinder, von denen zwei nach Westdeutschland ausgewandert waren, wurden sich aber nicht über die Nutzung einig. Geplant waren eine Döner-Fabrik und ein Autohaus, wie Thomas Jacobs Tochter Paula Marta herausfand. 2013 konnte er das Grundstück kaufen, die marode Gaststätte musste abgerissen werden. „Seitdem überlegen wir, an dieser Stelle wieder etwas zu errichten.

Neben einer Produktionshalle könnten wir ein Verwaltungsgebäude, das sich am alten Leuchtturm orientiert, bauen“, sagt Jacobs. Aktuell nutzt die Deutsche Bahn das Grundstück als Baustellenlager für den hochmodernen Güterbahnhof. Eins ist aber sicher: Im Frühjahr wollen die Jacobs eine Stele aufstellen, die an die bewegte Geschichte erinnert. Dass es nun auch eine Leuchtturmsiedlung geben soll, kommt ihm gelegen. (mz)

Klaus und Thomas Jacobs, vor dem Gelände der ehemaligen Gaststätte zum Leuchtturm
Klaus und Thomas Jacobs, vor dem Gelände der ehemaligen Gaststätte zum Leuchtturm
Nicolas Ottersbach Lizenz