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Nackedeis im Gartenparadies? Nackedeis im Gartenparadies?: Wie ein Naturheilverein eine Gartenkolonie gründete

Von Claudia Crodel 27.07.2019, 14:00
Herbert Grabow ist seit 1963 dem Naturheilverein „Prießnitz“ verbunden. Er kann viele Erlebnisse aus der Gartenanlage erzählen.
Herbert Grabow ist seit 1963 dem Naturheilverein „Prießnitz“ verbunden. Er kann viele Erlebnisse aus der Gartenanlage erzählen. Claudia Crodel

Halle (Saale) - Einst gab es in Halle ein einzigartiges Luftbad. Zu verdanken war es dem Naturheilverein „Prießnitz“, der die Anlage 1913 baute und zwar in der von ihm errichteten Gartenkolonie nahe des Galgenbergs. Dort konnten bis 1950 hinter einem Bretterzaun Nackedeis Luft und Sonne genießen. Die Nutzer kamen nicht nur aus der Gartenanlage selbst. „Manchen war das Luftbad sogar von Ärzten empfohlen worden“, erzählt Ursula Warthold, die Mitglied im Naturheilverein ist. Die Gäste mussten allerdings Eintritt zahlen. Heute stehen an gleicher Stelle das 1979 errichtete Vereinsheim sowie ein Kinderspielplatz.

Mehr als nur ein Naturheilverein: Vorträge und Schrebergärten

Den halleschen Naturheilverein gibt es in diesem Jahr 120 Jahre. Seinen Namen bezog er von dem bekannten Naturheilkundler Vincenz Prießnitz (1799-1851), der vor allem durch seine Behandlungen von Krankheiten mit Kaltwasser von sich reden machte. 1899 wurde der Verein in Halle gegründet. In ihm hatten sich Menschen zusammengefunden, die mehr über Naturheilverfahren, Körper- und Krankenpflege wissen wollten.

Sie organisierten öffentliche Vorträge zu solchen Themen wie der Gesundheitsvorsorge, dem Aufbau des menschlichen Körpers, Wohnungshygiene und schädliche Genussmittel. Diese Vorträge fanden in Gaststätten statt, unter anderem im Felsenkeller, dem Schießhaus Fuchs und der Gosenschenke. „Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Schrebergärten modern wurden, wollten die Vereinsmitglieder auch eine solche Anlage für sich errichten“ so Ursula Warthold.

„Jedes Vereinsmitglied übernahm so viel Fläche, wie es für den Anbau nutzen wollte"

Mitglied Otto Henze pachtete 1906 ein beträchtliches Stück Land nahe des Galgenbergs, auf dem die Gartenanlage entstand, die es noch heute gibt. Nach der Wende hat diese wieder den alten Vereinsnamen Naturheilverein „Prießnitz“ bekommen. Sie hat heute 55 Gärten, die fast alle vergeben sind. Die Gartenfreunde dort können ihre kleinen Paradiese so gestalten, wie sie es möchten, egal ob als Nutz- oder Erholungsgarten. Die Anlage unterliegt nicht dem Bundeskleingartengesetz, denn das Land gehört dem Verein.

Der beschloss, 1919 das Land zu kaufen. 100.000 Mark war die Kaufsumme. 6000 Mark zahlte man gleich. Die restlichen 94.000 Mark waren zur Zeit der Inflation noch 12,13 Mark wert. Allerdings konnte der Verein die Schuld zu dieser Summe nicht begleichen. Der Betrag wurde gerichtlich wieder erhöht. „Bis 1984 zahlten wir den Kredit ab“, erklärt Warthold. Sie kennt sich bestens in der Vereinsgeschichte aus.

Anfangs gab es einen gemeinschaftlichen Grünstreifen, auf dem Heu gewonnen wurde für die Kleintiere, die sich die Gartenbesitzer hielten. Als es 1921 zu erheblichen Karnickeldiebstählen kam, erbaute man ein Wachhaus, wo auch in der kalten Jahreszeit und nachts zum Schutz vor Diebstahl Wache gehalten wurde. Ursula Warthold kann auch erklären, warum jeder Garten eine andere Größe hat. „Das hängt mit den Ursprüngen unserer Anlage zusammen, jedes Vereinsmitglied übernahm so viel Fläche, wie es für den Anbau nutzen wollte.“

Zur DDR-Zeit wurden die Gärten bewertet

Ursula Warthold ist seit 1963 mit der Anlage verbunden. Damals hatten ihre Eltern den Garten gepachtet, den sie und ihr Mann Wolfgang noch heute haben. Ebenso lange fühlt sich der 86-jährige Herbert Grabow im Naturheilverein wohl. Er ist stolz auf die Sonnenblumen in seinem Garten. Die Kerne verwendet er für seine Kanarienvögel und Sittiche, die davon ein besonders schönes Federkleid bekommen.

Grabow hat einen Garten, der einst einem Bäckermeister gehörte. Darin stehen uralte Pflaumenbäume, deren Früchte einst auf die Bäckerei-Kuchen kamen. Grabow erzählt gern, so auch von der Kommission, die zur DDR-Zeit durch die Anlage ging und die Gärten bewertete. Da er bei der Kommission nicht gerade beliebt war, wurde sein Garten jahrelang als schlechtes Beispiel am schwarzen Brett aufgelistet, obwohl andere Gärten ungepflegter waren. Heute kann der Senior herzlich darüber lachen. (mz)

Die alte Vereinsfahne existiert noch.
Die alte Vereinsfahne existiert noch.
Claudia Crodel